Die documenta hat eröffnet und einen echten, handfesten Skandal an der Backe. Es scheint, als sei man Antisemiten auf den Leim gegangen, die eine eigene politische Agenda verfolgen. Ich kann nicht anders, als mit ironisch-sarkastischem Blick der Debatte zu folgen.
Es ist wieder soweit. Den Satz habe ich soeben getippt und fasse mir an den Kopf, denn es ist unmöglich, derart daneben und flach einen Text zu beginnen. Denn es ist ein Gemeinplatz: Solange das Geld fließt und wir im Takt der Zeit bleiben, ist es an einem Tag im Juni alle fünf Jahre immer soweit. So weit, dass die weltgrößte Kunstausstellung eröffnet, die aber laut Artfacts.net keinen der ersten vier Plätze hinsichtlich ihres Einflusses aufs Geschehen belegt. Nomen est omen. Oder? Was erstaunlich und kaum nachvollziehbar ist. Dass es in Zukunft jedoch so sein könnte, wundert nicht angesichts der Entwicklung, die das Instrument zur rhythmisch praktizierbaren Bestandsaufnahme einer westlich-kapitalistischen Kulturform namens «bildende Kunst» in Ausgabe «fifteen» nimmt. Gesehen habe ich natürlich noch nichts, aber was sich derzeit in der Medienlandschaft abspult lässt auf eines schließen: Es herrschen beste Zeiten für die Kunstkritik. Aber für die Kunst?
Hanno Rauterberg fragt in der «Zeit» völlig zurecht, ob nicht der Gedanke einer Weltkunstausstellung sowas von postcolonial sei – ich übertreibe –, ist aber so. Stimmt. Und? Gut so. Für die Kunst bedeutet es nämlich, ganz offen zu sehen, dass die westliche Kunst- und Wertegemeinschaft adapiert, was zu adaptieren ist. Der Markt frisst nicht nur seine Kinder, sondern jeden Lumpen, den sich irgendwer irgendwo vom Leib gerissen hat. Und der Markt ist seines Zeichens westlich, die doppelte Buchführung wurde schließlich in Zeiten der Protorenaissance in Florenz erfunden. Und wer auf der documenta ausgestellt hat, ist im Markt und bleibt vielleicht. Und selbst wenn die Politik noch so stark eingreift, wird sie nicht verhindern können, dass antisemitisch gefärbte Bildermacher vom Markt absorbiert werden. Das ist mal klar, also braucht man sich über die Zukunft manch eingeladener Künstler keine Gedanken zu machen. Es hat noch emma jootjejange. Und die Kunst? Nun hat man mal also ein Kollektiv eingeladen. Und die Kunst expandiert wieder einmal (zum wie viel tausendsten Mal? Gääähn.) und erlaubt den zoologisch interessierten Bürgern der Weltkunstgemeinde einen Einblick zu wagen: in Denk- und Aktionsweisen von Kulturkreisen, die nicht westlich sind. Überhaupt Wagnis. Wagnis und Positionen. Verfasst mal irgendwer ein Wörterbuch der sprachkonjunkturell bedingten Diskursblödheit des Kunstsystems? Danke dafür im Voraus. Hatten wir neulich noch den Potlatsch vereinnahmt, ist es heute eben «lumbung», was da im Werbeslang heißt:
«Das Praktizieren von lumbung ermöglicht eine alternative Ökonomie der Kollektivität, des gemeinsamen Ressourcenaufbaus und der gerechten Verteilung. lumbung basiert auf Werten wie lokaler Verankerung, Humor, Großzügigkeit, Unabhängigkeit, Transparenz, Genügsamkeit und Regeneration.»
Den Mindestanforderungen eines Lemmas hält der Satz natürlich nicht stand, denn sonst stünde da so etwas wie «x ist […]». Was das ist? Stellen wir doch die Prekariate und die Prekären mal wieder ins Zentrum. Auch Räuber? 123 […] Zentimeter. Lasst doch mal das Kind nach vorn. Lumbung ermöglicht also was Alternatives. Damit fangen wir erst einmal alle Zuckerkügelchenpropheten, die natürlich am Weltgeist aus Mensch, Tier und Pflanze direkt mit Ohr und Leib hängen, schamanistisch, praktisch und gut eingemenscht im Mesh aus Seelen und Jute. Wir predigen dann mal noch ein wenig Bescheidenheit und blenden schlicht aus, dass es überall auf dem Planeten, wenn Mensch im Spiel ist, recht greedy und creepy zugeht. Macht ja nix. Kann man ja mal machen. Das «u» in Lumbung weckt jedoch leider Assoziationen. Etwa raunt die neue Kunstvokabel, die einen Inhalt promoviert, den wir niemals hierzulande gedacht hätten, leider in meinem Hirn den Humbug herbei. Wie politisch unkorrekt! Aber Achtung: Das hier ist der Versuch einer Glosse. Willkommen zur Mitte des Films. Tja, jetzt ist natürlich das Hotel in Kassel schon gebucht, aber ob ich wirklich Lust verspüre, mal wieder in die Niederungen der Kulturförderungsverbrennung hinabzusteigen? Ich erinnere mich noch mit Schrecken an die 13. documenta. Oder an die Bürgelmaschine. Na ja, man kann es sich seine Kuratoren eben nicht aussuchen. Es muss gesehen werden, was da so aufgefahren wird, und hinterher war es dann doch immer recht cool, aufschlussreich und weiterbildend. Selbst wenn ich noch ein paar Leute auf meiner Liste hätte, denen ich wirklich mal die documenta überlassen würde.
Und jetzt also Aramsamsam, oder wie das heißt. Also diese Unkultur des «Wir verstehen dann mal alles», die dazu geführt hat, dass sich BDS, Antisemitismus, Dumpfgelaber in Kunstdiskursrechtfertigungsspraakornamentik und Ringelpiez mit Anpacken und schlechten Bildern als allgemein programmatische Kernaussage der documenta an den öffentlichen Diskurs anheftet, führt dann doch zu ziemlichem Sodbrennen. Meinerseits. Lacht noch jemand? Vorsicht, wir haben doch schon längst die humorfreie Zone betreten. Kuratoren mit Sinn für politische Kunst haben Betroffenheit, aber keinen Humor. Das sollte doch mittlerweile klar sein, oder nicht?
Aber wer von diesem Diskursgeklingel betroffen ist, der verspürt sogar noch mehr. Ich mag nicht tauschen. Hier jedenfalls heftet sich ein neuer Orpheus an veränderte Machtpole, um selbst Machtpol zu sein. Denn die Einzahl ist seit der Demokratisierung nach WK2 eben nur noch im Plural zu haben. Und schon wieder in die Falle westlicher Brillenträger geraten. Um Kunst geht es dabei nicht. Längst sind die Handlungsoptionen, die Lumbung umfasst, im Coaching-Alltag unserer New-Work-Gesellschaft angekommen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit Fragen der Zeit, etwa De-Demokratisierungs- und Totalisierungsbewegungen, Identitarismus, Oligarchismus, Musk-Bezos-Technizismus, Klimawandel, Digitalisierung, KI, Prekarisierung oder was auch immer man bezeichnen und herbeizitieren möchte, scheint unter dem entspannenden Mantel von Lumbung, unter dem stinknormale soziale Praktiken zu künstlerischen Praktiken nobilitiert werden, zugedeckt zu werden. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kuratoren-Direktoren-Entscheider-Community der Welt abhanden gekommen ist und in dissoziierten Kontexten mehr damit zu tun zu hat, jedenfalls scheint es so, und es schien nie deutlicher, ihre eigenen defizitären Strukturen durch kunsttherapeutische Halbmaßnahmen übergriffig für uns alle mittels Steuergeldern als der Kunst letzter Schluss in Szene zu setzen. Danke, aber dafür buche ich eigentlich meinen Coach oder Therapeuten und nicht das Hotel in Kassel. Sei’s drum. Ich habe ja noch nichts, gar nichts gesehen. Also sollte ich die Klappe halten. Tue ich natürlich nicht. Ich bin ja so betroffen. Mein Leben der Kunst! Was wäre aus mir geworden, hätte ich Bio oder Informatik studiert? Mensch, Einsicht war mal der erste Weg zur Besserung. Jetzt ist Matthias immer noch nass, weil er irgendwann einmal in den Brunnen und nicht in den Zaubertrank gefallen ist. Mist.
Ach ja, zur Erinnerung: Das ist die erste documenta, von der ich nach der Eröffnung noch nichts gesehen habe, sieht man von ein paar Zelten von Il Colonel vor dem Fridericianum auf Flickr ab. Wir werden sehen, das Hotel ist gebucht, und wer weiß, was von Lumbung bleibt, wenn der Trip vorbei ist. Aber nun gut, so ganz stimmt das nicht, denn ich habe doch schon etwas gesehen. Also diesen Teppich der Gruppe Taring Padi. Ein Mitglied ließ laut Monopol mitteilen: «Wir sind keine Antisemiten. Wir wissen nicht einmal, wer hier über uns urteilt. Wir lesen es nur in der Zeitung.» Man möchte ergänzen: Wir sehen auch nur, was wir wollen, und wir sehen nicht, was wir wissen. Und so weiter. Aber mal ehrlich: Wird das jetzt alles übertrieben? Also dieser Vorwurf, ausgesprochen und sichtbar am Unsichtbaren, dass nämlich – oh Zufall – kein einziger irsraelischer Künstler an Bord ist, dafür aber eine Menge palästinensischer Künstler sowie BSD-Jünger? Behauptung (wir sind nicht), Opfer (Urteil über uns), Ohnmacht (wissen nicht, wer): Klingt fast wie die rhetorische Struktur von Afd-Erregern in sozialen Medien. Ich fall von der Maus, so lache ich. Also ich kann mir schon ganz gut zusammenreimen, wer da spricht und wie. Dass der rote Stern kein günstiger ist, dass die muslimische Herkunft nun auch nicht gerade Völkerverständigung vermuten lässt (Achtung: kein Generalverdacht, sondern nur rückgekoppelt an eine bestimmte Form des politischen und bisweilen ziemlich tödlichen Aktivismus oder Talibanismus, die hier zumindest indirekt symbolisiert sicht- und damit lesbar wird). Wir treffen uns bei der Nachsilbe «-sozialistisch». Die Nazis haben eben nicht das exklusive Vorgriffsrecht auf menschenunwürdige, menschenobjektivierende Symbolik und ihre Transformation in Genozide. Selbst wenn diese Unvergleichlichkeit der Geschichte eben genau das ist: unvergleichlich. Jedenfalls glaube ich solchen marktaffinen Rechtfertigungsrhetoriken, wie sie derzeit überall kolportiert werden, überhaupt nicht.
Denn wie klingt das denn? Ganz naiv natürlich, aber bitte, genau hier wirkelt nämlich virulent ein Relativismus, sogar recht unversteckt, vor dem einem ganz übel werden kann, besser sollte. Ein Gruppenmitlied äußerte sich zur Kausa im Münchner Merkur vom 25. Juni. Das geht dann laut Ippen-Blatt so: «Sri Maryanto macht der Skandal ‹sehr traurig›. Wir können nur daraus lernen, wie schnell Missverständnisse entstehen.» Es werde «mit der Lupe auf Details geschaut, ohne die Gesamtheit der Darstellung zu erfassen». Das Banner zeige «viele Diktatoren, militärische Machtstrukturen sowie Geheimdienste wie der sowjetische KGB und die US-amerikanische CIA als überzeichnete Wesen». Und die Widerständler dagegen. Geht’s noch? Also ok. Dann schmeißen wir mal den kompletten niederträchtigen Westen (CIA, Mossad, KGB etc.) in einen Topf und sind dagegen. Ok. Was ist mit dem so genannten Islamischen Staat und ihren Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Tuum quoque, ja ich weiß, aber in diesem Fall ausnahmsweise, denn wer gerecht sein will, darf nicht einseitig sein. Und ich meine nicht Tuum quoque, aber wenn ich global kritisiere, muss ich auch globale Pars pro toto finden. Also weiter: Was ist mit dem Leid, den andere Regime über Menschen bringen, was ist mit der Vielzahl von Assad-Geheimdiensten? Was mit den Repressalien, unter denen Menschen in Saudi Arabien etc. zu leiden haben? Und warum hofiert die Fifa ein Regime, das … Alles übrigens gern im Namen von Allah und Mohammed, Postkolonialismus und so.
Dann aber auch ganz zu schweigen davon, dass das Zitat von CIA-Leuten etwas anderes ist, als der direkte Vergleich zwischen Nazis und Israelis. Das ist ja wohl an Geschmacklosigkeit, Abgeschmacktheit und Entwürdigungsrhetorik nicht zu überbieten. Ich habe da so meine Bedenken, ob Herr Maryanto als Person, die den Boden der Verfassung so gut wie verlassen hat, jenseits seiner blamablen Rechtfertigungsversuche dazu geeignet ist, Kindern schöpferisch etwas beizubrigen. Gibt es da vielleicht so etwas wie eine nichtwahrnehmbare Befangenheit? So sieht es also allgemein aus: Die scheinbare Weltoffenheit und Affirmation der documenta-Organisation führt zu einer regressiv-aggressiven Installation einer sehr leicht als obsolet zu verstehenden versteckten Legitimationsmaschine für die Partikularinteressen von Religionsgemeinschaften in ihrem Freiheitskampf, der natürlich seine Berechtigung besitzt. Aber klar doch, jeder ist auf irgendeinem Hühnerauge blind. Auch ich.
Suharto hin, Suharto her. Vielleicht hätte sich das Kollektiv vorher einmal intensiv mit dem Gastgeberland auseinandersetzen sollen und mit einem Schubser einen Diskurs zum Bild veranstaltet. Vorher. Aber wenn ich meinen Balken vor der Stirn nicht mehr sehe, ist das vielleicht ein Teil meiner Agenda, die dann ganz naiv als «Haben wir doch nicht wissen können» deklariert wird. Klingt schon wieder nach der Rückzugsopferei der Afd. Ach je, da kommt mir leider wieder der alte Beuys, auch so ein Problembär, in den Sinn, als er den griffigen Slogan vom Denken und Rausfliegen in die Welt setzte; aber da ist doch schon was dran, oder? Und dann braucht man auf der documenta auch nicht unbedingt 20 Jahre alte aktivistische Malerei zu zeigen. Die hätte man doch schon nach Adelaide auf der documenta von Okwui Enwezor zeigen können. Meine ich.
Früher hätte ich an dieser Stelle mit einer Selbstentlastung weiter gemacht. Tenor: Wer bin ich schon, dass ich das verstehe, und verstehe ich das, wahrscheinlich nicht, weil ich hier der erklärte Kritikerblödmann bin, der aus der Provinz, der Nerd, you know? Das schreibe ich natürlich nicht mehr. Denn ich verstehe den Diskurs so, wie ich das hier wiedergebe, und ich brauche ferner keinen Millimeter zu relativieren. Aus meiner Sicht muss sich diese documenta mehr als alle anderen, die ich während meines Lebens sehen durfte, bewähren. Das Hotel ist gebucht. Es bleibt gebucht, und wir werden sehen, ich werde schreiben, denn es ist prima, dass es wieder so weit ist. Nur?