Sprachtagebuch, 5. Dezember 2018

„Ich würde sagen.“ Jemand sagt also nicht, sondern sagte etwas, wenn die Umstände danach wären. Ganz gleich, welchen Sender man einstellt, es begegnen den Hörer*innen immer wieder diese Aussagen. Dabei meinen die Sprecher*innen doch eigentlich, dass sie das danach Folgende so auch meinen. Wie sieht es im Maschinenraum der Sprache diesbezüglich aus? Hierzu lesen Sie nachfolgende Anmerkungen.

„Würde“ in wörtlicher Rede ist antastbar

Die Sintflut des Konjunktiv II mit dem Infinitiv

Es ist in aller Munde, das kleine Wörtchen „würde“. Ganz gleich, wo wir heute hinhören, ans Ohr dringt stets: „Ich würde sagen.“ Von dieser Konstruktion existiert eine Vielzahl von Varianten. „Ich würde meinen.“ „Ich würde behaupten.“ „Ich würde vorschlagen.“ Es lässt sich beliebig so fortfahren. Gelegentlich erscheint die Sprachoberfläche in den Medien so, als seien sich die teilnehmenden Individuen nicht darüber im Klaren, was sie sprechen, konkreter: was sie meinen. Was passiert in einer derartigen Rede? Erst einmal wird in den konstruierten, aber realitätsnahen Sätzen der Konjunktiv von „werden“ eingesetzt. Genauer: der Konjunktiv II, Futur I. Der Modus, also der Konjunktiv, hier in der zweiten Ebene, ist interessant, wenn nach der Bedeutung der Aussage geschaut wird. Verständigen wir uns über die faktische Wirklichkeit, ist der Indikativ Präsenz bei einfachen Aussagen die perfekte Wahl: „Der Himmel ist trüb und verhangen.“ Beziehen wir es auf einen Dialog, also das gesprochene Wort, ist folgendes Beispiel sprechend: „Ich sage die Wahrheit.“ Begibt man sich in die Deutungssphäre, kann konstatiert werden: Hier spricht ein Subjekt, das seine Aussage gerade heraus unterstreicht. Dieser Satz benötigt in einem Dialog zwischen Taschendieb und Polizist keiner weiteren Ausführung. Man nimmt ihn zur Kenntnis und ermittelt. Bis zur Überführung oder Widerlegung der wahrscheinlich dahinter stehenden Beschuldigung eines Dritten ist dieser Satz wahr, zumindest hinsichtlich der Unschuldsvermutung, die in unserem Land gilt. Wenn ich jetzt die oben angeführten Beispiele in den Indikativ übertrage, verschiebt sich die Bedeutung des zuvor Gesagten: (1) „Ich behaupte, dass dieser Typ ein Taschendieb ist. Und ich schlage vor, dass er von der Polizei vernommen wird.“ Hier herrscht Eindeutigkeit über die Aussagen. Es erklingt wiederum die Rede eines sprechenden Subjekts aus der aufgestellten Behauptung und dem Vorschlag. Dagegen liest sich das eingangs abstrakt formulierte Konstrukt, angewendet auf den vorherigen Beispielsatz, wie folgt: (2) „Ich würde behaupten, dass dieser Typ ein Taschendieb ist. Und ich würde vorschlagen, dass er von der Polizei vernommen wird.“ Nehmen wir einmal die Grammatik ernst. Stellen wir uns deswegen jetzt die Frage, was der Sprecher von (2) eigentlich ausdrücken wollte, dann kommen wir zu folgendem Schluss: (3) „Zu irgendeinem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt in der Zukunft kann es passieren, oder auch nicht, dass ich behaupte, dieser Mann sei ein Taschendieb. Und zu irgendeinem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt in der Zukunft kann es passieren, oder auch nicht, dass ich vorschlage, den Mann von der Polizei vernehmen zu lassen.“ Nun gestattet es uns die Grammatik, den Konjunktiv II in Verbindung mit einem Infinitiv („würde sagen“) in Bezug auf die Gegenwart zu benutzen. Hier stellt sich jedoch die Frage, wann das der Fall ist. Für diesen Sachverhalt gibt es eine Situation, die mir einfällt: Wenn ein Satz im Indikativ verneint werden soll, kann ich den Konjunktiv II mit dem Infinitiv verwenden. Das heißt für unser Beispiel: (4a) Ich behaupte, dass dieser Typ ein Taschendieb ist und schlage vor, ihn von der Polizei vernehmen zu lassen. Dagegen steht dann der Konjunktiv II mit dem Infinitiv (4b): Ich würde nicht behaupten, dass dieser Typ ein Taschendieb ist, und ich würde nicht vorschlagen, ihn von der Polizei vernehmen zu lassen. Damit haben wir grammatische Rollen erfasst: Ein Satz im Indikativ wird durch einen gegenteiligen Satz mittels eines Einsatzes des Konjunktivs II, erweitert mit dem Infinitiv, verneint. Es gibt Grammatiken, die das rechtfertigen. Das ist nachvollziehbar und semantisch sinnvoll. Auf der Oberfläche medialer Sprache sieht es jedoch ganz anders, nämlich wie eingangs skizziert aus. Daher müssen sich unsere öffentlich Sprechenden fragen lassen, warum sie permanent „sagen würden“ statt zu „sagen“. Ich wage eine steile These: Die inflationäre Verwendung von Konjunktiv-II-Infinitiv-Konstruktionen verdankt sich einer falschhöflichen Zurückhaltung und Scheu vor einer Aussage, die eindeutig mit ihrem Sprecher identifizierbar ist und bleibt. Das hingegen ist nur eine sprachpsychologische Mutmaßung. Akzeptieren wir dagegen zumindest ansatzweise eine gewisse Sprachlogik, Regelhaftigkeit und Aussagemöglichkeit bzw. semantische Sinnhaftigkeit von Aussagen, wenn wir so und nicht anders, also bewusst uns äußern, sollten wir uns erstens ertüchtigen, als sprechende Subjekte hinter unserer Aussage zu stehen. Zweitens sollten wir akzeptieren, dass gewisse Regeln der Sprache nicht ohne Grund aus ihr abgeleitet wurden. Weil drittens sich die Bedeutungen meiner Aussage ins Absurde verschieben, wenn ich diese Kombination weiter so verwende wie bisher. Der Konjunktiv II adressiert Irreales. Das sollte uns während des zumal öffentlichen Redens im Mindesten bewusst sein. Würde ich mal sagen…