Sprachtagebuch 26. September 2018

Stakkatohaft werden Hauptsätze bisweilen aneinandergereiht. Oft frage ich mich bei der Lektüre solcher Konstruktionen, ob ein Text nicht leichter zu lesen wäre, wenn die Autor*innen auf dieses rhetorische Mittel verzichten würden. Ganz gleich, welcher Art der Text ist: Heute findet sich das Zusammenfassen in jeder Textsorte. Hier habe ich mir nur ein Beispiel zufällig herausgepickt.

Komma klein oder Punkt und groß?

Von der Bedeutung zum Satzbau: Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, schätze ich als meinungsstarken, sprachlich versierten, umsichtigen und wissenden Journalisten und Juristen. Seine Texte bieten Orientierung und setzen Leuchttürme der Meinungsbildung (Achtung: niemals Meinungs-Bildung). Sie sind außerdem stets ein Lesegenuss. Doch wie für jeden der schreibt, gilt auch für ihn – und aus dieser Falle gibt es aufgrund der relativen Offenheit und Dynamik von Schriftsprachen kein Entkommen – die Regel, dass hässliche Ausnahmeerscheinungen (Achtung: sprachnaturgemäß niemals Ausnah-Meer-Scheinungen) aus den Untiefen grauer Wortsuppen ans Licht der Publizität kommen. Es ist kein Leichtes, diese zu vermeiden. Als ehernes Gesetz lernte ich beim Westfälischen Anzeiger, Hamm, Sätze nicht unnötig zu verschachteln. In meinem Arbeitsfeld der Schreibdidaktik, Schwerpunkt «Schreiben in den Ingenieurswissenschaften» (Achtung: Niemals Ingenieurs-Wissenschaften) setzt sich beinahe jede Fachpublikation für die Regel «Eine Aussage, ein Satz» ein.

Heute lese ich in der SZ-App den Schwanengesang Prantls auf die Kanzlerschaft Angela Merkels. In der wohlfeilen Argumentation finde ich folgende Wertung:

«Es ist die Schicksalsfrage der CDU, es ist eine deutsche Schicksalsfrage, weil diese Frau so lange das Schicksal dieses Landes bestimmt hat.»

Im Grunde ist es fast ein Unrecht, das ich Heribert Prantl mit meinem Text antue, denn in den Tagen zuvor habe ich Dutzende vergleichbare syntaktische Konstruktionen in zahlreichen anderen Zeitungen gelesen. Da ich gerade das Sprachtagebuch von gestern in einer zweiten Korrekturrunde überarbeitet habe, kurz SZ-lesend pausierte, traf es den Kollegen aus München. Es ist zwar keine aemulatio, also keine preisende, aber zu übertrumpfen versuchende Nachahmung seines Texts, aber es trägt deren Geist mit anderen Mitteln ins Geschehen hinein. Verstehen Sie meine Kritik als ehrende und verehrende. Doch zurück zur Sache. Hier nun folgt ein Änderungsvorschlag (Achtung: niemals Änderungs-Vorschlag):

«Es ist die Schicksalsfrage der CDU. Es ist eine deutsche Schicksalsfrage, weil diese Frau so lange das Schicksal dieses Landes bestimmt hat.»

Liebe Kolleg*innen in den Leitmedien und andernorts: Geben Sie uns die Chance zum Atemholen. Eine Aussage auf einen Satz zu begrenzen, der mit einem Punkt beendet wird, ist die Kardinaltugend des Schreibens in den Medien. Bitte glauben Sie einem aufmerksamen Leser, dass das Stilmittel des Aneinanderreihens vollständiger Hauptsätze mit einem Komma – in diesem Fall überdies mit einem, den zweiten Satz erweitertenden Nebensatz – ermüdet. Vor allem dann, wenn dieses Mittelchen in jedem Text mehrfach Verwendung findet. Es ist zwar nicht die Schicksalsfrage des journalistischen Schreibens per se, aber es ist eine der vielen Schicksalsfragen der Zukunft des journalistischen Schreibens in deutscher Sprache, weil es nur diese Sprache gibt, die das Schicksal unseres journalistischen Sprachgebrauchs hierzulande bestimmt. Lautmalerisch (ausnahmsweise): Ähämmm – ein bisschen viel Schicksal in dem Satz, oder?