Fünf Jahre schreiben

Das Cover der Publikation Zeitungsweise von Matthias Kampmann

Mein ganzes Leben habe ich geschrieben. Und dieses Leben währt nun 59 Jahre. War ich der Sprache würdig? Ja, nein, vielleicht? Lasst Gnade walten! Zum Glück kann Sprache selbst nicht richten. Sie muss erdulden, was ich mit ihr angestellt habe. Das schlechte Gewissen bleibt bei mir. Na, so schlimm ist es nicht. Außerdem kann man lernen. Habe ich gelernt? Das können nun andere beurteilen. Denn eine weitere Publikation mit 350 Texten von mir aus den Jahren 1993 bis 1997 ist jetzt auf dem Markt. Und dieses Buch mit dem Titel «Zeitungsweise» hat eine vielleicht ungewöhnliche Geschichte, die aus einer ungewöhnlichen Absicht heraus begonnen wurde, geschrieben zu werden.

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Bei den Zeiten anschreiben

Eine ganze Weile, über ein Jahr lang nämlich, habe ich in meiner Freizeit meine Archive durchforstet, um nach Erzählungen und kleiner bis kleinster Prosa zu suchen. Ich bin mehr als fündig geworden. Jetzt sind diese Teils 30 Jahre alten Geschichten auf dem Markt. Unter dem dem Titel «Das Labor. Erzählungen und Miniaturen» kann das Büchlein (235 Seiten, Broschur) in jedem guten Buchhandel bestellt werden. Oder beim Drucker direkt.

IBSN: 978-3-8197-7500-0
Preis: 18,03 Euro
Weitere Bezugsquelle: https://buchhandel.de/buch/Das-Labor-9783819775000

Brioche gegen 25 Prozent

Die Angst isst mit wenn Demokratien kippen

Die freiheitlich demokratische Grundordnung ist verlässlich. Sie steht, stark und fest, als Struktur und Halt unseres Landes. Die wichtigste Veröffentlichung des politischen Jahres hat der BND zwar nicht öffentlich vorgenommen, aber immerhin haben es andere bereits kommuniziert. Mit Erleichterung konnte daher die Nachricht aufgenommen werden, dass das Ergebnis jahrelanger Prüfung keinen Zweifel daran lässt, dass die selbst ernannte AfD gesichert rechtsextremistisch ist. Aber: Derzeit sind 25 Prozent in der Bevölkerung der Auffassung, diese Partei wählen zu müssen, wenn denn Bundestagswahl wäre. Die realen Ergebnisse vom 23. Februar waren leider schon erschütternd genug, und viele Gespräche mit Mitmenschen selbst im kleineren Umfeld deuteten daraufhin, dass sich diese Partei normalisiert hat. Und dass es schlimmer werden wird. Das schmerzt echte Demokraten, denn diese Truppe hat es noch nie gut mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gemeint. Das Verstörende daran ist, wie diese 25 Prozent das zunehmend rüpelhafte Benehmen im Parlament gutheißen. Stillschweigend. Seltsam auch, dass Androhung körperlicher Gewalt gegen Andersdenkende durch verwässterte Braunzonen nach ultrarechts keine eindeutigen Bekenntnisse seitens dieser Partei triggerte. Dann schon wieder besser ins Bild passend war, dass Nachrichten, wie deutlich sie auch waren, ob Spione aus China, Kriminelle und verurteilte Straftäter im Bundestag, zweckentfremdete oder widerrechtliche Parteispenden oder Russlandhörigkeit, nicht dazu führten dass sich unsere 25-Prozent-Mitmenschen nicht einfach abwendeten. Und Anstand einforderten. Nein, das aber heißt, dass sie sich positiv zu Chrupalla, Weidel oder Höcke stellen.

Abkehr? Die ist nicht passiert. Man frage sich daher bitte, was in diesem Land gerade los ist. Nach wie vor versuchen uns Menschen einzureden, dass wir in Gefahr seien, von Dschingis Kahn und den Wilden Horden sowie von Erdgeistern und Chemtrailern überollt zu werden. Gerade sieht man es im lokalen Supermarkt. Es werden wieder Regale leergekauft. Erinnerungen an La Corona werden wach. H-Sahne ist bei uns ausverkauft. Da schwirren die Impfmücken. Und das schon seit über zwei Wochen. Der Trend, Sahne einzulagern, verdankt sich vielleicht eines Bonmots einer ehrlichen Herrscherin: „Qu’ils mangent de la brioche !“ Aber was wäre eine Brioche, also ein Apostelkuchen, ohne Sahne? Trocken. Korrekt. Also gehen wir irgendwann um oder nach oder vor 2030 in die Bunker und essen von morgens bis abends Brioche und verdrängen dabei die Realität, dass wir weder verteidigungsfähig noch ganz fit sind. Aber bitte mit Sahne! Ganz dem roten Pfeil der Alice und Beatrix Lestrange folgend, der, mit Verlaub, erheblich an eine Hybride aus dem Logo eines Ex-Internetbuchgroßhandels und den Streifen auf gewissen US-Turnschuhen einer an das antike Griechenland gemahnenden Marke erinnert. Die Abmahnfreiherren von Gravenreuth könnten so langsam gern aus den Gräbern kommen, um der nachlässigen Kreativlosigkeit eins auf den Deckel zu geben.

Man darf als Politker:in nicht das Wahlvolk schelten. Das darf man auch als Medium nicht. Die Kritik an dieser Partei ist in allen Facetten vorgebracht, und das Verhalten ihrer Akteure ist Kritik an sich und Kritik genug. Also wo bleibt was hängen? Was sollen wir tun? Was stellen wir uns vor? Wir werden sehen. In den USA haben wir das Echtzeitprogramm a la USA. In Russland haben wir das Echtzeitprogramm a la Russland. Irgendwie werden wir es sehen und erleben. Hoffentlich auch überleben.

Fiktionsrepublik Deutschland

Heute kam mir zu Ohren, dass in einer kleinen Stadt, die in einem nicht sonderlich bedeutenden Talkessel im Bundesland liegt, aus dem ich stamme, folgende Mär kursiert: Die Familie des Kanzlerkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen bauten in Dänemark ein Kernkraftwerk. Diese surreale Geschichte verbreitet sich dort via Pizzeria. Ich weiß nun nicht, wer der Inhaber dieses Restaurants ist. Ich habe zudem im Netz bislang keine Spuren dieser Geschichte finden können. Aber das ist faszinierend. Während Drohnen Einrichtungen der Bundeswehr ausspionieren und aufgrund von technischen Besonderheiten nicht zu stören sind, kursieren derartig schrille Gerüchte.1

Tausende Fake-Accounts versuchen, die Meinung der Bürger:innen zu beeinflussen.2 Wir wissen längst, woher das alles kommt. Währenddessen geben noAfD und noBSW die Putin-Versteher und agieren von innen als Verräter der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Ich frage mich, was wir noch alles erdulden müssen, bis wir endlich mal verstehen, dass wir echte Probleme haben. Und ja, auch die Immigration ist ein Problem. Aber zur vernünftigen Bearbeitung und Erarbeitung von menschlichen Lösungen (schneller Arbeit ermöglichen, einheitliche Datenbestände usw.) kommt es nicht mehr.

Währenddessen fiktionalisieren Feinde unsere Alltage, und die Gutgläubigen verkriechen sich in ihre Angstkokons und bemerken nicht, dass ein Weiterso an den Abgrund führt. Und sie bemerken nicht, dass die Rattenfänger ihnen suggerieren, sie könnten immer so weiter Sprit verbrennen, um nur ein Beispiel zu nennen für die fehlgeleitete öffentliche Aufregung. Das Ende vom Lied kennen wir. Dexit schafft Armut und Isolation. Dann bauen wir weiter Autobahnen, und am Ende wird irgendeine Bevölkerungsgruppe zum Sündenbock gemacht und ermordet. Ja, so drastisch sieht das Ende aus, wenn die noAfD regieren sollte. Und was das noBSW produziert? Na ja. Leute, kommt zur Vernunft! Euer Leben, Eure Freiheit steht auf dem Spiel.

  1. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/drohnen-spionage-husum-100.html ↩︎
  2. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/desinformation/desinformation-russlands-angriffskrieg.html ↩︎

Angestupst

Soziale Medien sind nicht sozial. Jedenfalls nicht diejenigen, die von narzisstischen Waschbeckenträgern wie Elon Musk, auf Pump finanziert, betrieben werden. Und selbst wenn der Ansatz von Herrn Zuckerberg demokratisch orientiert sein sollte, ist er dennoch offenbar nicht dazu in der Lage, persönliche Weltwunschbilder von notwendiger Funktionalität und Beteiligung zu unterscheiden. Beide Männer haben eines gemeinsam: Sie sind Tycoone gigantischer Firmen, die ihr Geld mit Werbung, verstecktem Datenhandel und Plattformen machen (s. Shoshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus). Kund:innen denken jedoch, man äußere dort seine Meinung. Tut man auch, aber was heißt das schon. Meinungen lassen sich überall äußern. Auch im Wald vor lauter Bäumen und Bambis. Und Meinungen sind Meinungen. Journalismus ist etwas Anderes!

Ich bin vor gut drei Jahren gefragt worden, ob ich einen Text zu den Möglichkeiten von Kulturjournalismus in sozialen Medien schreiben könne. Konnte ich. Der Text wird im Frühjahr 2025 in einem Band über Kulturjournalismus im Springer-Verlag erscheinen. So lange wollte ich nicht warten. Und Platz hatte ich nicht so viel, wie es nötig wäre, um das Thema angemessen anreißen können. Außerdem konnte ich nicht dem Ansinnen des Herausgebers zu einhundert Prozent gerecht werden. Denn es gibt eine größere Aufgabe als die Beantwortung der Frage, wie denn diese Plattformen für journalistische Zwecke zu nutzen sind. Was es damit auf sich hat, wenn man versucht, mit sozialen Medien Journalismus zu betreiben, habe ich in meinem kleinen Essay «Angestupst», erschienen bei epubli im August 2024, beschrieben. Das ist übrigens mein erstes Buch, das ich komplett mit Open-Source-Tools geschrieben, gesetzt und gelayoutet habe. Daher an dieser Stelle mein Dank an alle Coder:innen von LaTeX [ˈlaːtɛç] und Scribus.

Matthias Kampmann: Angestupst. 100 Seiten, Format: A6 hoch, Hardcover 90g creme, matt, Erscheinungsdatum: 20.08.2024, ISBN: 9783759862464

EM, EU, Wahl und Wettbewerb

Dieses Turnier kommt zur richtigen Zeit. Es stecken einem die Wahlergebnisse aus der Woche davor in den Knochen. An Prozenten 16 gewann die AgD. Das ist eine Menge, und in der Verteilung auf die Bundesländer wundert es niemanden, dass gerade unsere östlichen Federal fellows einmal mehr gezeigt haben, an welcher Stelle ihr politisches Herz schlägt. Doswidanja. Und es ist bedauerlich, dass dort Andersdenkende sich noch bedrohter fühlen müssen. Einer braunen Mitte, deren Wahlmotivation mittlerweile völlig unerheblich ist, sei’s gedankt. Wir werden es erleben. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass die Übergriffe auf Menschen anderer Hautfarbe zunehmen werden.

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Talking to… Lessons in probability theory

Am 16. Dezember 2022 habe ich mit dem GPT-Sprachmodell «gesprochen». Wir haben seitdem und davor viel über diese Software diskutiert. Einer unserer klugen Köpfe in der Radical Dude Society meinte, das Spiel mit dem System und der öffentliche Diskurs sagten mehr über uns Menschen als über die Maschine aus. Das möchte ich sehr gern unterschreiben. In jedem Fall war mein «Erlebnis» mit dem Bot ChatGPT gefühlt so, wie es mir mit allen diesen Bots bislang gegangen ist, ganz gleich, wie gut sie programmiert waren oder sind: Ihre Begrenztheiten tauchen glücklicherweise alsbald auf, und man kann heutzutage trotzdem fasziniert von deren sprachlicher Korrektheit sein. Am Ende bleiben sie dennoch blöd wie Schraubenzieher.

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Das Gerede über Intelligenz

Intelligenz kommt weder von Intel noch von Microsoft, Google oder OpenAI. Viele Menschen scheinen das derzeit gern zu vergessen, aus welcher Motivation heraus auch immer. Es wird beispielsweise sehr viel über das Sprachmodell GPT der Firma OpenAI gesprochen. Ein Teil der Debatten kehrt sich dann immer wieder in seltsame, bisweilen esoterische Richtungen: Es wird der Stand des Machbaren mit dem Denkbaren verwechselt. Da wir weder auf dem Wüstenplaneten zu Zeiten des Mua’dib leben, als die Menschheit nach Beschluss die «denkenden» Maschinen zum Teufel gejagt und den Adel sowie die Religion wieder eingeführt haben, noch im heutigen Los Angeles, in dem kein Blade Runner zur Tyrell Corporation fliegt, um an zweifelhaften Subjekten den Voight-Kampff-Test durchführt, gilt das, was jetzt noch Schwerkraft ist: Maschinen haben weder Bewusstsein, Verstand noch Intelligenz.

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documenta 02: Das Urteil

Die Documenta 15 zeigt vieles, nur nach Kunst sucht man länger. Es gibt sie, aber sie macht sich rar. Und man fragt sich, ob dies der Tod der Kuratorenkultur sei, die mit der Geschichte der Documenta, mit Namen wie Harald Szeemann, Jan Hoet oder Adam Szymczik so eng verbunden ist. Jetzt sieht man hier viel Plunder und Talmi und wird durch antiquierte Konzepte an der Nase herumgeführt. Das Dialogische ist wohl nur für Eingeweihte zugänglich. Und unterkomplex geht es gleichfalls in Kassel zu. Fazit vorab: Es war schlecht wie nie. Kaum zu beschreiben, was für Ungeheuerlichkeiten dort aufgeboten wurden, um zudem noch schlechte Politik zu machen.

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