Sprachtagebuch, 10. Oktober 2018

Alexander Gauland wird der Hitler-Paraphrasierung von zwei Historiker-Autoritäten in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung überführt, liest man heute, am 10. Oktober 2018, auf den Seiten des Deutschlandfunk 24. Der Autor leugnet. Es ist zu fragen, was das für die Sprache des öffentlichen Diskurses bedeutet.

10. Oktober 2018

Heute Morgen las ich in der DLF24-App, dass der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, Jahrgang 1946, das Abonnement der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) gekündigt habe. Als Grund führt er einen Gastbeitrag von Alexander Gauland (Jahrgang 1941) an, der von dem antisemitismusforscher Wolfgang Benz, geboren 1941, und dem Zeithistoriker Michael Wolffsohn (Jahrgang 1947) in Teilen als Paraphrase einer Hitler-Rede (→ https://www.deutschlandfunk.de/faz-gastbeitrag-historiker-werfen-afd-chef-gauland-vor-eine.1939.de.html?drn:news_id=933701) entlarvt worden war (s. unten zwei Zitate aus dem DLF-Beitrag im Vergleich).

Dass Herr Polenz nun der Zeitung die Kündigung ausspricht, ist lediglich ein weiteres, marginales Phänomen der empörungsbereiten Bluthochdruckkultur unserer Tage und lohnt kaum weiterer Aufmerksamkeit. Denn der historische Relativismus, den Herr Gauland gern in der Öffentlichkeit praktiziert, stellt jedenfalls keinen neuen Abort ins publizistische Wohnzimmer: Erinnern wir uns an den «Vogelschiss»-Vergleich vom 30. Juni 2018 auf dem Bundeskongress der «Jungen Alternative» im thüringischen Seebach. Oder: Die Höcke-Koketterie des alternden Herrn Doktor, einst übrigens selbst Flüchtlingsjunge, die einen charakteristischen, strategischen Zug zu seiner Sprachpolitik addiert, ließ schon vor Jahren nichts anderes erwarten. Nur haben die AfD und Konsorten mittlerweile das Fenster des Sagbaren so weit mit ihren relativ unintelligenten, blutwurstigen Hobby-Tabubrüchen aufgemeißelt, dass sich Paraphrasierungen, jetzt noch unter dem Deckmäntelchen der Unwissenheit, bald in offenen Zitaten mit einschlägigen Quellenangaben breitmachen könnten. Man kann nicht oft genug betonen, dass die rhetorischen Gesten der «Parteiführer» (dieses Mal ohne *innen) immer die gleichen sind. Vorstoß, zurückrudern. Und schon bröckelt der Mörtel zwischen den Ziegeln unseres sprachlichen Hauses ein wenig mehr. Der sprachliche Konsens ist hierzulande längst aufgekündigt. Dazu hat bereits die Petry-Schale der AfD 1.0 mit «Schießbefehlen» an der Grenze beigetragen. Am Ende stolperte Storch über die Maus. Abgesehen davon, dass man Herrn Gauland für die Leugnung dieser schriftlichen Anpassungsleistung keinen Glauben schenken sollte, ist dessen verschleiertes sprachliches Re-Enactment der beste Beweis seiner bloß scheinbar uninformierten Demokratiefeindlichkeit. Also stellt sich die Frage, was eigentlich noch alles dahergeplappert und -getippt werden muss, bis der Verfassungsschutz offiziell hinschauen darf. Der FAZ kann man jedenfalls hinsichtlich der herrschenden Atmosphäre keinen Vorwurf machen. Sie kommt ihrer medialen Pflicht nach und bietet uns Wähler*innen damit die Möglichkeit zur Erkenntnis an, dass diese Partei in keiner Weise wählbar ist, sofern man die Grundpfeiler der Bundesrepublik nicht nur akzeptiert, sondern auch wertschätzt, lebt und diese weiterhin leben will.

Zitate gemäß dem DLF

Alexander Gauland: «Diese globalisierte Klasse sitzt in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten, und weil sie die Informationen kontrolliert, gibt sie kulturell und politisch den Takt vor. Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell ‹bunt›.»

(…)

«Der globalistischen Klasse gegenüber stehen zwei heterogene Gruppen, die in der AfD eine Allianz eingegangen sind: zum einen die bürgerliche Mittelschicht, zu der auch der wirtschaftliche Mittelstand gehört, der nicht einfach seine Unternehmen nach Indien verlagern kann, um dort besonders billig zu produzieren; zum anderen viele sogenannte einfache Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt werden oder nicht mehr existieren, die ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von einer schäbigen Rente leben müssen. Das sind zugleich diejenigen, für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist und die als Erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die Einwanderer strömen.»

Adolf Hitler: «Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu Hause fühlen.»

(Zuruf aus dem Publikum: ‹Juden!›)

«Es sind die einzigen, die wirklich als internationale Elemente anzusprechen sind, weil sie überall ihre Geschäfte betätigen können, aber das Volk kann ihnen gar nicht nachfolgen, das Volk ist ja gekettet an seinen Boden, ist gekettet an seine Heimat, ist gebunden an die Lebensmöglichkeiten seines Staates, der Nation. Das Volk kann ihnen nicht nachgehen. Der Bauer, der ist auf seinem Boden festgelegt. Der Arbeiter er hängt an seinem Werk. Wenn es zugrunde geht, wo wird ihm geholfen? Was heißt heute internationale Solidarität? Alles Theorie in einer Zeit, in der überall die Not schreit und die Völker schwer kämpfen müssen um ihr Dasein. Nicht die intellektuellen Schichten haben mir den Mut gegeben, dieses gigantische Werk zu beginnen. Sondern, das kann ich sagen, diesen Mut habe ich nur gefaßt, weil ich zwei Schichten kannte, den Bauer und den deutschen Arbeiter.»

Sensibilisierungslektüren

Zorn, Daniel-Pascal (2017): Logik für Demokraten. Eine Anleitung. Stuttgart: Klett-Cotta.

Klemperer, Victor (2004): LTI. Notizbuch eines Philologen. Lizenzausg. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg.

Nowojski, Walter; Klemperer, Victor (Hg.) (1999): Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945; Band I-VIII. 3. Aufl. Berlin: Aufbau-Verl.