Magister

Das Verhältnis von Wirklichkeit zu Bildwirklichkeit in den Trompe l'oeil-Stilleben von Samuel van Hoogstraten, 1997

"Es ergab sich, dass der Maler in einer bildlichen Versuchsreihe zu einer Bildlösung fand, die sowohl dem preisenswerten Betrug, als Potential der Malerei Rechnung tragen kann, als auch dem persönlichen Interesse einer überzeitlichen Repräsentation des eigenenLebenswerks genügt. Mittels der Rückkopplung der Bilddaten an den Begriff der Bildzeit und der daraus resultierenden Findung jener als Präsentation einer Dauer ließ sich das besondere Verhältnis zwischen dargestellter Dinglichkeit und geforderter Täuschungsabsicht konkret fassen. Die Widersprüche zwischen einer Momentaneität eines betrügerischen Wirklichkeitspotentials, das per se Kontingenz fordert, und der Forderung des Künstlerindividuums nach dauerhaftem, ehrenmännischem Status innerhalb der Geschichte, so wie sie auf der Ebene der Gegenständlichkeit in Ehrenmedaille und Zeuxis-Gedicht formuliert wurden, lösen sich in der aufgefundenen Bildwirklichkeit, als einer Kontingenz zweiter Ordnung aus sukzessive wahrgenommenen Teilordnungen in einer bildzeitlichen Dauer, zu einem geglückten Sowohl-als-auch."
Das Verhältnis von Wirklichkeit zu Bildwirklichkeit in den Trompe l'œil-Stilleben von Samuel van Hoogstraten, S. 46

Die Methode der Ikonik von Max Imdahl stellt die je verschiedene Bildlichkeit von Kunstwerken ins Zentrum des Interesses. Jedoch ohne – wie vielfach behauptet – etwa außerbildliche Faktoren unberücksichtigt zu lassen. In meiner Magisterarbeit habe ich sie auf die Stillleben von Samuel van Hoogstraten anzuwenden versucht. Bei genauerem Hinsehen weisen diese Bilder einen komplexen, strukturalen Gehalt auf. Der Betrachter nimmt eine Relation zwischen Unordnung und Strukturen wahr, obwohl sich in den Bildern keine klassische Komposition findet. All diese Kunstgriffe münden in einer Interpretation von Selbstreferentialität: Gemälde, gemalt über Malerei.

Samuel van Hoogstraten (1627- 1678), ein Schüler von Rembrandt, war ein pictor doctus. Er hat neben seiner Tätigkeit als Maler darüber hinaus ein Traktat über Malerei sowie zahlreiche Trauerspiele und Lobgedichte verfasst. Sein malerisches Werk umfasst ausgefeilte Perspektiv-Darstellungen, er baute Perspektivkästen und schuf bemerkenswerte Trompe l'oeil-Gemälde. In diesen Augenbetrügern, die lange Zeit als artistische Spielereien gering geschätzt worden sind, hat er zahlreiche Fragen über das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Bildwirklichkeit antizipiert. Mein Beispiel ist eins der sogenannten Quodlibet-Stilleben. Dargestellt ist ein "Steckbrett". Heute würde man den Gegenstand mit dem Wort Pinnwand bezeichnen. Es dient dazu, kleine Notizen, Rechnungen und ähnliche Dinge sozusagen als Gedächtnisstütze kurzfristig im Blick zu behalten.

Wie so ein Steckbrett im Kontext des Lebensumfelds in der Vergangenheit ausgesehen haben mag, zeigt ein Gemälde von Hans Holbein d. J.: Das Bildnis des Kaufmanns Ghisze, 1532, Berlin, Gemäldegalerie. Hier ist allerdings zugleich die gesamte Wand, das Interieur der Kaufmannsstube mit Leisten versehen, um an jeder Stelle Zettelchen ablegen zu können.

Steckbretter

Mit perspektivischen Tricks und lebensgroßer Darstellung der zumeist sehr flachen Gegenstände wird der Betrachter zunächst überlistet. Die Täuschung funktioniert nur bis zu einer bestimmten Distanz, dann wird aus dem Betrogenen – in übertragenem Sinn – ein Betrachter. Dies ist der eigentliche Kunstgriff, der in den Gemälden zur Anschauung kommt.

Als erstes fällt die Auswahl der Dinge ins Auge. Sie kann keineswegs als "natürlich" angesehen werden: Kostbare goldene Medaillons, eine Kamee und Bücher sind nicht unbedingt Dinge, die man an einem Steckbrett verwahren würde. Sie dienen als Platzhalter für den unsichtbaren Schöpfer des Bildes. So erhielt Hoogstraten beispielsweise von Ferdinand III. im Jahr 1651 in Wien für die gelungene Täuschung des Monarchen jenes goldene Medallion, das in beinahe jedem seiner Gemälde auftaucht. Celeste Brusati (Artifice and Illusion. The art and writing of Samuel van Hoogstraten, Chicago, London 1995) beschreibt dies als "self-effacement".

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