Heiter bis wolkig – Cirrus, Cumulus und Stratus zwischen Imagination und Meteorologie

Für die Zeitschrift KUNST&material (Ausgabe 01./02.2015) habe ich mich mit den Wolken in der bildenden Kunst auseinander gesetzt. Mein (unredigierter) Text ist hier zu lesen. Es ist erstaunlich, wie jedes Jahrhundert in der malerischen Wolke sich spiegelt. Etwa wenn Constables Freiluftmalereien in der damaligen Heide Hampstead präziser den Himmel beschreiben als die Wissenschaft des Luke Howard, dem wir die Namen Cumulus, Cirrus und Stratus zu verdanken haben.

Wenn die Isothermen und Isotheren ihre Schuldigkeit tun und die meteorologischen Faktoren sämtlich in einem günstigen Verhältnis zueinander stehen, wie Robert Musil in einer „Art Einleitung“ zu seinem Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“ schrieb, ist zumeist der Himmel blau. Im literarischen Fall soll es „ein schöner Augusttag des Jahres 1913“ gewesen sein. Doch das kann sich stets schnell ändern. Denn so wankelmütig wie Wettergötter ist wohl niemand in den Gefilden der Unsterblichen. Kaum dass an einem Sommertag die Liegestühle aus dem Keller geholt sind, zieht sich der Himmel zu, wie man so schön sagt, und die Sonne verschwindet hinter den dämpfenden Kissen von Feuchtigkeitsballen, die gemeinhin Wolken genannt werden. Es wird kühl, und wenn man dann aufschaut in den Himmel, türmt sich dort oben vielleicht ein gigantisches Monster auf. Es mag schon sein, dass dann die Nachmittagsstimmung getrübt ist, aber der aufwärts gerichtete Blick lässt einen gelegentlich in den Zustand des Fantasierens abschweifen. Wolken sind nämlich seit Menschengedenken Quelle der Inspiration. Ihre unsteten Formen, ihre Ferne, ihre paradoxe Anmutung zwischen Festigkeit und Flugobjekt bringen unser Vorstellungsvermögen auf Trab. Nimmt es daher wunder, dass Künstler und auch Philosophen immer wieder diese Wettergebilde als Ideengeber beschwören?

Bereits in der Antike formulierten Autoren wie Aristophanes, Lukrez oder Philostrat diesen Vorgang, in Wolken Gesichter, Tiere oder ganze Schlachtszenen zu erblicken. Und wie so oft ist es Leonardo da Vinci, der in Theorie und Praxis pädagogische Ratschläge für Maler in eine sprachliche und visuelle Form zu gießen verstand. Was da wirbelt, kann man erst einmal gar nicht so genau angeben. Jedenfalls möchte sich wohl niemand in diesem Chaos aufhalten, das der große gelehrte Künstler 1515 mit bestimmtem und höchst energischem Strich aufs Blatt bannte. Eine Studie über eine „Sintflut auf dem Meer“, eine Zeichnung, die weder das Wasser der See zeigt noch sonstige Angaben über den Raum macht. Hier geht’s ausschließlich ums Tosen nackter Wettererscheinungen, hier regieren scheinbar Unordnung und Gewalt. Kunstgemäß ist das Durcheinander dennoch. Wenn auch auf zunächst nicht genau durchschaubare, aber dynamische Art und Weise. Rechts oben ballen sich dicke Wolken, die sich wie im engsten Nahkampf mit den aufgewühlten Wassermassen zu vereinen scheinen. Aus diesem Geknäuel ergießen sich nun in Gegenrichtung gewaltige Regenströme. Beachtet man die Vektoren, die Rundungen, die aus Wolken und Regen gebildet werden, offenbart die Darstellung aus der Royal Library auf Windsor Castle im Groben einen tornadoartigen Effet von links oben nach rechts unten.

Das Blatt, übrigens Teil einer ganzen Reihe von Sintflut-Imaginationen, ist der Blick in den schöpferischen Maschinenraum dieses polytalentierten Genies. Sogleich erinnert man sich an die Direktive des Meisters, der von 1452 bis 1519 lebte: „Verachte meinen Rat nicht, wenn ich dich daran erinnere, dass es dir nicht schwerfallen dürfte, bisweilen anzuhalten, um die Flecken auf der Mauer zu betrachten, die Asche des Feuers, die Wolken, den Schlamm oder dergleichen. Wenn Du sie aufmerksam betrachtest, wirst du wirklich wunderbare Ideen darin finden. Der Geist des Malers wird zu neuen Erfindungen angeregt, zu Kompositionen mit Kämpfen von Tieren oder Menschen, diversen Landschaftskompositionen und monströsen Dingen wie Teufel oder dergleichen, die dir Ehre einbringen könnten, denn in den wirren Dingen findet der Geist Stoff für neue Erfindungen“, schreibt er in seiner Abhandlung über die Malerei (cod. urb. lat. 1270, 35 v).

Dass die Malerei in dieser Weise in ihren Himmeln Überwirkliches sichtbar werden lässt, verwundert angesichts der Fantastik nicht weiter, die das Jahrhundert Leonardos nicht nur im Norden, wie die Ausstellung „Fantastische Welten. Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500“ im Frankfurter Städel Museum (bis 8.2. 2015, Kunsthistorisches Museum, Wien, 17.3.-14.6.2015) belegt, sondern auch in Italien hervorbrachte. Allerdings holten sich die Künstler im Gewirr der niederen Dinge nicht nur Anregungen fürs Gestalten von Szenen mit Figuren aus Fleisch und Blut beziehungsweise für Inkarnat und Stofflichkeit. Antonio da Correggios Interpretation der Geschichte von „Jupiter und Io“ (1631/32, Kunsthistorisches Museum, Wien) zeigt den liebestollen Vorstandsvorsitzenden der Götter in Form einer grauen Gewitterwolke. Io, ganz verzückt, wird von dem unsteten Gebilde sanft umschlungen. Ein Antlitz formt sich aus dem Nebel und küsst die überwältigte Schöne. Ferner belebten die Künstler Wolken in weniger prosaischen Kontexten und gaben ihnen tierische oder menschliche Formen. Dass diese Gestalten augenscheinlich meist nicht viel mit der dargestellten Story zu tun hatten, erschwert ihr Verständnis anders als der eindeutige Jupiter von Correggio.

Einer der klassischen Künstler der Renaissance nahm derartige, verrückte Wolkenformen gleich mehrfach ins Visier: Andrea Mantegna (1431-1506). Da ist etwa der „Heilige Sebastian“ von 1460. Sehen wir vom erschreckenden Hauptmotiv ab und schauen in den Himmel. Ganz links oben formiert sich im extrem schlanken Hochformat ein Reiter aus der Wolke. Ein Zufallsbild? Wohl kaum. Dass es sich um ein aktiv eingebautes Zeichen handelt, belegt der Blick auf ein weiteres Gemälde des Künstlers, der in Padua und Mantua aktiv gewesen ist. Um 1490 malte er den großformatigen Zyklus des „Triumphzugs von Cäsar“. Im dritten von neun Teilen, den „Trophäenträgern“ (Hampton Court, Twickenham, Royal Collection), erkennt man schnell ein Gesicht in den Wolken in der rechten oberen Bildecke. Und diese Motivik beschränkt sich keineswegs auf Mantegna. Der Meister der Barberini-Tafeln (Fra Carnevale) belebte 1467 eine Wolke in Delfinform in seiner „Mariengeburt“ (Metropolitan Museum, New York), und Luca Signorelli malte gleichfalls einen Wolkenreiter. Das Bild, das heute den Staatlichen Museen zu Berlin gehören würde, ist leider 1945 verbrannt. Es existiert nur noch eine Farbfotografie, die vor 1939 aufgenommen worden sein soll. Was diese Gespenster zu bedeuten haben, ist seit Jahrzehnten Gegenstand reger Debatten. Ist es die flüchtige Zeit oder die Seele? Bildet hier vielleicht die Natur selbst, sprich: Ist es in Umkehrung von Leonardo so, dass die Natur die Kunst erschafft und nicht wir, die durch unser produktiv-schöpferisches Wiedererkennen diese mit Schein behafteten Dinge aus uns selbst heraus auf die Wolke projizieren? Warum erscheinen diese Figuren so dezentriert an relativ unscheinbaren, geradezu bedeutungslosen Orten innerhalb der Bilder? Einzig Signorelli macht eine Ausnahme. Dort galoppiert der Wolkenreiter quasi aus dem Nacken eines Hirten, der zudem die Gesichtszüge des neuplatonischen Philosophen Marsilio Ficino trage, wie Andreas Hauser in seinem Aufsatz „Andrea Mantegnas ‚Wolkenreiter'“ schreibt („Die Unvermeidlichkeit der Bilder“, Tübingen, Gunter Narr Verlag 2001, S. 163).

Hauser schließt diese Bilderscheinungen mit Albertus Magnus‘ Vorstellungen kurz. Dieser hat Wolkengebilde als das verstanden, was wir heute in ihnen sehen: Zufallserscheinungen, Launen des Wetters. Übrigens genauso wie Philostrat (um 165 – um 244), der in einem Dialog zwischen Apllonius von Tyana (40-120) und seinem Schüler Damus ähnliche Gedanken hegte, wie Ernst H. Gombrich in „Kunst und Illusion“ (Berlin 2002, S. 154) darlegt. Während Astrologen und Magier darin die sich festigenden Wahrheiten Gottes zu erkennen glaubten. Mantegna lässt jedoch anders als etwa Fra Carnevale, aber auch Signorelli erst einmal keinen Zweifel aufkommen, um was es sich handelt. Zu deutlich sind Ross und Reiter zu erkennen. Diese Klarheit, meint Hauser, sei der Grund, warum der Betrachter sich stets bewusst über den fiktiven Charakter dessen ist, was er sieht. Die Kunst sei überdies dann ewig, wenn ihr das Unwirkliche der materiellen Wirklichkeit bewusst werde. Er mutmaßt, das klar zu erkennende Wolkengespenst im Sebastian von Mantegna sei ein Vehikel der Aufklärung und sei „Ausdruck einer eminent avancierten, künstlerischen Gesinnung“ (S. 172). Das ist nicht nur plausibel, sondern auch erstaunlich. Somit kann man davon ausgehen, dass es in der Renaissance protoaufklärerische Diskurse gegeben haben muss. Wozu Wolken gut sein können!

Zuvor beherrschen Goldgründe oder monochrome Flächen den Himmel. Um 1344 malte etwa Matteo Giovannetti Szenen aus dem Leben des heiligen Martial, einem Apostel Galliens, Patron des Limousin. Aus dieser Gegend stammte Papst Clemens VI., der 1342 in Avignon inthronisiert wurde. Hier ist der Himmel überwiegend tief blau. Goldene Sterne prangen dort prunkvoll. Der Maler aus Viterbo, der selbst Geistlicher war, schuf ein Werk, das man zwar nicht als naturalistisch bezeichnen kann. Allerdings erwies er der sichtbaren Welt Reverenz wie sonst kaum jemand zu seiner Zeit. Die Schilderungen orientieren sich an der Gegenständlichkeit. Ein sekundärer Bereich jedoch erscheint unwirklich. Vier singende Engel schweben, bis zu den Oberschenkeln in fedrigen Cirrus-Wolken eingesunken, am Firmament. Jedes der Himmelswesen hat seine eigene Plattform. Es scheint, als diene sie der Fortbewegung. Das ist übrigens nichts Ungewöhnliches. Wer seinen Sitz im Himmel hat, kann sich meist auf Wolken ausruhen. Das zeigt Giotto in Florenz. Dort malte er um 1328 das „Begräbnis des hl. Franziskus und die Festellung der Stigmata“ in der Capella Bardi in der Basilika Santa Croce. Der Ordensgründer, der in einem kreisförmigen Gebilde von vier Engeln in den Himmel getragen wird, hat wie zur Stütze einige luftige Wolken unter sich.

Mitunter fungieren sie gar als Himmelsarchitekturen. Im zweiten Jahr der babylonischen Königsherrschaft Nebukadnezars (605-562 v. Chr.) überfielen den Erbauer der Hängenden Gärten der Semiramis Träume. Daniel, ein Jude aus dem besetzten Jerusalem, wurde nach Babel verschleppt und erwies sich als cleverer Traumdeuter, den der Herrscher für seine Weisheit belohnte. Er deutete einen der berühmtesten Träume der Bibel, der von der Ewigkeit und Größe des Reichs Gottes handelt. Ein ottonischer Buchmaler von der Insel Reichenau setzte ihn auf einem Blatt des Daniel-Codex um das Jahr 1000 ins Bild. Die reich illuminierte Handschrift befindet sich heute in Bamberg in der Staatsbibliothek (Msc. Bibl. 22, fol. 31 v). In der biblischen Geschichte (Buch Daniel, 2) fehlt Christi Darstellung, so wie sie auf dem mittelalterlichen Blatt zu sehen ist. Aber damit ist der in der Story erwähnte Steinberg, der die christliche Herrschaft symbolisiert, eindeutig identifizierbar. Christus wird dabei von zwei Engeln assistierend flankiert. Beide sind bis zur Brust hinter einer Reling aus Wolken verborgen. Diese Behausungsfunktion behält die Wolke über die Zeiten. Selbst im 18. Jahrhundert. In Ottobeuren, in der Klosterkirche St. Theodor und Alexander, verschwindet beispielsweise Christus in einem Wolkenbau, gemalt von Franz Anton Zeiller um 1763.

Mit Blick auf die Menge kunstgeschichtlicher Literatur ist die Wolke weit abgeschlagen auf den hintersten Rängen wiederzufinden. Es bleibt dem eigenen Forscherdrang überlassen, sich zu informieren. Es ist schon arg verwunderlich, dass das ansonsten so vollständige „Lexikon der Christlichen Ikonographie“ in seinem allgemeinen Stichwortteil kein Lemma namens „Wolke“ führt, dabei ließe sich problemlos anhand innerbildlicher Funktionsweisen eine Motivgeschichte verschiedener Kategorien fassen. Außerdem gibt es textliche Grundlagen, etwa das 2. Buch Mose (13, 21), als Gott in Form einer Wolkensäule dem Volk Israel die Marschrichtung aus Ägypten vorgab. Selbst der Wind zieht mehr Aufmerksamkeit auf sich. Letztlich gab es erst eine monothematische Ausstellung („Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels“, 2004, Bucerius Kunstforum und Jenisch-Haus, Hamburg) und eine maßgebliche Monografie, die der französische Semiotiker Hubert Damisch Anfang der 1970er Jahre veröffentlicht hat. Dem Zürcher Verlag Diaphanes ist es zu verdanken, dass diese Lektüre 2013 unter dem Titel „Theorie der Wolke. Für eine Geschichte der Malerei“ erstmals in deutscher Sprache erschienen ist. Doch ist der Text ein Brocken. Schon mit Blick auf die Form: Keine Einleitung, kein Fazit ziehendes Schlusswort – sofort ist man in medias res. Hinzu tritt die Prägung des Autors durch poststrukturalistische Zeichentheorien, was das Verständnis der teils eng verwobenen Gedankenketten nicht gerade erleichtert. Wer sich allerdings durch die Maschen zwängt, wird mit zahllosen Erkenntnissen belohnt, etwa mit dem paradoxen Zustand, den die Wolke in der Malerei formuliert. Demgemäß meint Damisch, „wenn die Malerei mit dem Kontur beginnt und die Farbe erst an zweiter Stelle, nämlich als Supplement auftritt, das seine Verführung erst recht beunruhigend und verdächtig macht, dann ist die Wolke von vornherein als Element außerhalb der Norm konnotiert“. Denn logisch, die Wolke ist formlos. Das war selbst in der Antike schon sichtbar.

Aber auch ikonografisch sind die Wolken ein aufregendes Thema. Jüngere, populäre Manifestationen der Existenz von Kentauren kreierte J. K. Rowlings in ein paar Harry-Potter-Romanen. Die britische Autorin schildert deren Charakter recht genau. Doch der Eindruck des rüpelhaften, starrsinnigen Kraftprotzes festigt sich hier allzu leicht. Dabei ist ein Elternteil schlicht eine Wolke. Göttervater Zeus war nämlich genervt vom unverschämten Ixion, der seiner Gattin Hera nachstellte. Zeus paarte seine Eifersucht mit List und erschuf aus Wolken ein Abbild von Hera. Diesem Trugbild erlag der Rüpel, schwängerte die Wolke, und heraus kam der Kentaur. Gemäß Andreas Thielemann („Schlachten erschauen – Kentauren gebären“, in: Michelangelo. Neue Beiträge, Berlin, Deutscher Kunstverlag, 2000, S. 17-92) trügen die Kentauren daher die Züge beider Eltern: das Triebhafte, Brutale und Herrschsüchtige vom Vater, „das chimärenhaft Flüchtige, auf die Fantasie berechnete“ von der Mutter. „Als die exemplarischen Wolkengeburten gehören [die Kentauren] zu jenen Wesen, die die Zufallsformen der Wolken am Himmel hervorbringen. Man glaubt, sie dort wirklich zu sehen, aber sie sind nur ein Gestaltschema, das die Fantasie aus einer vorübergehenden Konstellation herausliest.“ Dieses Fazit von Andreas Thielemann verweist damit auf den bereits angesprochenen Aspekt des Formensehens.

Für Erwin Gross, Professor für Malerei an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Karlsruhe, sind sie das Salz in der Suppe. Er konstatierte vor der „Großen Baumgruppe am Wasser“ (1665) von Jacob van Ruisdael in der Staatlichen Kunsthalle, dass sich Künstler an Wolken austoben könnten. Fehle etwas in der Komposition, käme ein Schäfchen am gemalten Himmel gerade recht. Es sind demgemäß die Holländer, denen wir die ersten scheinbar nichtkodierten Wolken verdanken. Die Virtuosität etwa von Ruisdael manifestiert sich in stets kräftigen Wattegebirgen, die kompositorisch perfekt zur Silhouette von Bäumen und Häusern passen, ohne jemals übersteigert zu wirken. Überhaupt die Niederländer: Heftig, nass und lebensgefährlich wird es – wie bei Leonardo – auf den Wellen. Einer der ersten Marinemaler war Jan Porcellis (1584-1632). Wie Simon de Vlieger (1600-1653) ließ der es krachen. Schiffbrüche in aufgewühlter See mit naturgemäß höchst dramatischen Wolkenformationen. Dabei wirken die Traumgebilde hier enorm bedrohlich, einzig die Harmonie der Bildordnung irritiert und lässt erkennen, dass es immer auch um die gelungene Komposition ging. Ein Meteorologe wird möglicherweise Kritik anmelden.

Diese Sublimierung passte dann im 18. Jahrhundert auch zu einer ästhetischen Auffassung des Erhabenen, wie sie etwa Edmund Burke unter dem Titel „Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen“ 1757 in London veröffentlichte. Selbst wenn er Wolken nicht explizit anspricht, widmet er sich dennoch katastrophischen Wetterphänomenen. Der Ozean galt ihm als Ort des Schreckens, der uns erschauern lässt. Betrachten wir Bilder von Claude-Joseph Vernet, erscheinen sie uns beinahe als Illustration. Etwa sein „Schiffbruch“ von 1770, der in der Neuen Pinakothek München hängt. Im Vordergrund, unter Wasser und verdeckt von Felsen, sehen wir nur mehr den Mast eines gestrandeten Schiffs. An das zerklüftete Ufer retten sich wenige Passagiere und Seeleute. Eine Frau in deutlich rotem Gewand scheint kurz vor einem Ohnmachtsanfall zu sein und verschränkt die Hände über dem Kopf. Die rauchschwarzen Wolken lassen an zwei Stellen den blauen Himmel durchscheinen. Aber erst weit hinten am Horizont ist wieder Ruhe eingekehrt. Wir sind erschüttert beim Anblick dieses erhabenen Desasters. Und irritiert gleichermaßen von der Erkenntnis, dass wir als Spezies – dies eine der Errungenschaften der Aufklärung – nicht mehr im Mittelpunkt des Universums stehen, sondern als verletzliche Marginalie in den tosenden Unbilden der Natur.

Erst mit der Erforschung der Wolken auf der Basis empirischer Methoden zu Beginn des 19. Jahrhunderts bekommen wir ein vermeintlich realeres Bild gemalt. Es gibt die atmosphärischen Erkundungen der Impressionisten unter freiem Himmel, nachdem bereits die Protagonisten der Schule von Barbizon jene künstlichen Broccoli-Wälder in der heimischen Malkammer gegen die wirkliche Außenwelt in der Gegend um Fontainebleau bei Paris eingetauscht hatten. Doch unsere Wolkenforscher finden wir kurz zuvor eher in einer Art Akademismus unter den Protagonisten der Feinmalerei. Carl Blechen (1798-1840) etwa, dem wir zahlreiche Wolkenstudien verdanken. Zwischen Romantik und Realismus pendelte sich der gebürtige Cotbusser Zeit seines Lebens ein. Oder der Norweger Johan Christian Clausen Dahl (1788-1857), der ein enger Freund von Caspar David Friedrich (1774-1840) war. Wer Landschaften malte, und das waren in dieser Zeit eine Menge Künstler, beschäftigte sich zwangsläufig mit atmosphärischen Phänomenen, bisweilen sogar mit der entstehenden Naturwissenschaft derselben.

Das in der Malerei sich spiegelnde und je sich verändernde Verhältnis zwischen dem Wissen ums Wissen und der malerischen Umsetzung altbekannter Themen ist recht schwer auszuloten. Wie viel Wissenschaft steckt denn nun in den Bildern etwa eines Caspar David Friedrich? Wie immer heißt es, äußerste Vorsicht walten zu lassen und niemals unreflektiert zu denken, dass das Gemalte eine Veranschaulichung des Theoretischen ist. Jüngst zeigte sich dies in der hervorragenden Jahresausstellung des Germanischen Nationalmuseums zum Thema Vogelperspektive (bis 22. Februar 2015). Dort war zu sehen, dass erst mit den erfolgreichen Flügen der Montgolfiere der gemalte Blick von oben empirisch gesichert ist. Und nötigte uns Hochachtung mit Blick auf die Rekonstruktionsleistung etwa von Jacopo de’ Barbari ab: Sein Blick von oben auf die „Ansicht von Venedig“ (1500), ein gigantischer Holzschnitt von 2,84 Metern Breite, verdankt sich allein horizontaler Erfahrung und Projektion. Aber viele Künstler malten dann doch anders und modifizierten ihre Eindrücke zugunsten des Bildes und nicht der sachlichen Wahrheit wegen. Mit den Wolken steht’s nicht anders. Erstmals richtig Ernst genommen hat sie ein schüchterner Engländer namens Luke Howard (1772-1864). Um 1783 tobten Stürme, verheerten Erdbeben den Planeten, und Klimawechsel versetzten halb Europa in Panik. Howard faszinierte dies, so dass er anfing, meteorologisch zu arbeiten. Ihm sind die drei Hauptkategorien von Wolken – Cirrus, Cumulus, Stratus – zu verdanken. Der Mann hinterließ sogar bei Goethe enormen Eindruck, der um 1820 ihm und den Wolken Gedichte widmete. Übrigens verfasste Richard Hamblyn eine schöne Biografie über den Forscher, der auch John Constable inspirierte („Die Erfindung der Wolken“, Frankfurt/Main, Suhrkamp 2003).

A propos Constable. Der war ein regelrechter Wissenschaftler. Wetterkundler attestieren ihm einen genaueren Blick als Howard. John Constable (1776-1837) war es auch, der mit einer Unmenge unterschiedlicher Farbsubstanzen einen ganzen Sommer lang täglich in die damalige Heidelandschaft bei Hampstead, nahe London, zog und sich bei Wind und Wetter dem Abbilden der Erscheinungen verpflichtete. Eine ernsthafte Beschäftigung mit den Naturgesetzen sei es gemäß Hamblyn gewesen. Eine Sisyphos-Tätigkeit, denn nach einem Blick aufs Papier war der Himmel schon wieder ein anderer. Dagegen fühlte sich Caspar David Friedrich hinsichtlich der Aufforderung Goethes, die Erscheinung am Himmel quasi empirisch zu erfassen, zu arg gebunden. Er weigerte sich 1817, Howards Aufsatz für den großen Weimarer Dichter zu illustrieren. Was nicht mit Obskurantentum oder Mystizismus – wie Richard Hamblyn als Wissenschaftshistoriker unterstellt – zu verwechseln ist, sondern schlicht eine Positionsbestimmung kunsttheoretischer Meinung darstellt. Friedrich war sich bewusst, dass Malerei stets eine mediale Eigengesetzlichkeit ausprägt. In Gemälden wie „Wanderer über dem Nebelmeer“ (1818) oder „Ziehende Wolken“ (um 1820, beide Hamburger Kunsthalle) ist es letztlich irrelevant, ob die Stratocumuli, die Cirrus-, Cirrostratus- oder Cirrocumulus-Wolken wissenschaftlich korrekt am Himmel erscheinen. Denn sie sind nicht Selbstzweck, sondern dienen der Komposition, mit der die Einsamkeit des Menschen der Unermesslichkeit der Natur gegenüber gestellt wird. Übrigens mit Blick auf die Rollenverteilung eine Art Wahlverwandtschaft mit Gerhard Richter, der dem Betrachter immer wieder vorführt, dass es um Malerei und nicht um gemalte Fotografie geht.

Richter ist nicht der erste, der auf seine spezielle Weise im 20. Jahrhundert die Auseinandersetzung mit Wetterlagen anging, um ästhetisch-malerische Fragestellungen zu beackern. René Magritte (1898-1967) malte 1952 „Persönliche Werte“. Man darf getrost annehmen, dass die Fototapete damals noch nicht ihren Siegeszug in die heimische Wohnstube angetreten hatte. Also ist es in diesem Falle wieder einmal eins dieser absurden Verrätselungen des Belgiers. Gezeigt wird ein Interieur, in dem die Größenverhältnisse nicht mehr stimmen. Das Wasserglas ist groß wie ein Mensch, und der Kamm, der im Bett links an der Wand lehnt, ist wohl auch für Riesen. Um das Spiel zu vervollständigen, verkleidete Magritte die Wände mit Wolken, stülpte demgemäß das Äußere ins Innere. Und macht uns das Vertraute fremd. Ein Loblied auf die Fiktion, könnte man meinen. Anders Richter, doch in gewisser Hinsicht verwandt. Eine „Wolkenstudie“ malt der bescheidene Topstar unter den lebenden Künstlern nur zwölf Jahre später als Magritte im Jahr 1964. Der Maler, der die Landschaft menschenlos entleert, spricht 1981 davon, dass die „Landschaften und Stillleben meine Sehnsucht“ zeigen. Nostalgie sei ihm gestattet, denn diese Bildauffassung bleibt ja nicht dabei stehen. Der Maler nutzt ebenso in seinen „Seestücken“ aus den 1960er Jahren Fotografie als „Krücke zur Wirklichkeit“. Damit zeigt uns Richter, dass Malerei eine Eigenwirklichkeit besitzt. Er setzt Unschärfe ein, die nun nichts mit fotografischer, aber alles mit gemalter Undeutlichkeit zu tun hat. Während also Magritte mit uns ein gegenständliches Vokabelverwirr- und Umkehrspiel betreibt, führt uns Richter aufs interpretatorische Glatteis, indem er uns veranlasst, immer wieder auf unsere Medien- und Bilderfahrungen zurückzufallen und sie zu durchkreuzen.

Derzeit scheint es übrigens geradezu einen Hype mit Blick auf Wolken zu geben. Insbesondere die jüngere zeitgenössische Kunst wartet mit einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Arbeiten von surreal bis absurd auf. Allen voran sicher der Niederländer Berndnaut Smilde (Jahrgang 1978). Mit seinen inszenierten Fotografien stellt er sich in die beste Magritte-Tradition. Und das, obschon er Arbeiten schafft, gegen die jene künstlerischen Ingenieursleistungen eines Olafur Eliasson geradezu plump wirken. Dass Wolken flüchtig sind, hat ihre Karriere begründet. In den Bildern wirken sie für ewige Zeiten, so auch in den digitalen Fotos, etwa in „Nimbus Sankt Peter“, entstanden in diesem Jahr in der Kölner Kunststation. Die Aufnahmen stammen übrigens nicht von Smilde selbst, sondern er engagiert den Amsterdamer Fotografen Cassander Eeftinck Schattenkerk. Die Bilder zeigen nichts Geringeres als wahrhaftig und authentisch anmutende Wolken in Innenräumen. Zarte, luftige, geradezu verletzlich wirkende Gebilde aus Dampf sind es, die eingekerkert zwischen vier Wänden schweben und damit das gewohnte, schwerkraftmäßig gebändigte Ungewisse befreien. Wir haben spätestens seit unserem ersten Flug mit einem Passagierjet einen Eindruck von den luftigen Gebirgen, ein die Abmessungen und Größenverhältnisse erahnen lassendes Gefühl für die Dimension und Beschaffenheit jener Wasserdampfagglomerate. Strafversetzt in den Innenraum, stülpen sie diesen um und verstören somit nachhaltig. Ganz abgesehen davon, dass sie schlicht schön sind. Wenn sich tonnenschwere Elefanten aus Zuckerwatte an Miniaturtässchen aus Meißner Porzellan festklammern, könnte der schräge, optische Widerspruch nicht größer sein. Der Künstler nutzt Nebelmaschinen um für Sekunden diese „Wolken“ zu erzeugen, die nach dem Fotografieren nach nur wenigen Atemzügen wieder Geschichte sind.

Markus Hofer, Jahrgang 1977, interveniert ganz gern mit Porzellan. Diese Arbeiten heißen dann schlicht „Wolken“. Hierzu nutzt er weiße Teller und schichtet sie hintereinander, so dass sie entfernt an die frühen Wolken in der spätmittelalterlichen Malerei nördlich der Alpen erinnern. Kein Wunder, dass ihm im November das Porzellanmuseum im Augarten zu Wien Raum bot, sein Projekt für das barocke Eingangstor zum öffentlichen Park, 1775 von Isidore Canevale errichtet, vorzustellen. Aus dem klassizistischen Zugang in streng mit Rundbögen und Zahnkranz konstruierter Fassung wachsen die riesigen Teller wolkenhaft heraus und spielen mit der Deportation des Gebrauchsgegenstands in einen neuen Kontext. Massiv kritischer geht dagegen der aus medienskeptischen Kontexten stammende Trevor Paglen vor. Bereits 2010 startete er eine Serie von großformatigen Fotografien, die mit rätselhaften Titeln, etwa „Untitled (Predator Drone)“ (2013) charakterisiert sind. Schöne blaurote Sonnenuntergänge, könnte man meinen, doch die 8,20 Meter lange „General Atomics MQ-1 Predator“ ist ein Angst einflößendes Fluginstrument, von dem wir mutmaßen, dass es in den Bildern des 1974 geborenen Fotografen die Hauptrolle spielt. Allerdings sehen wir das Tötungsinstrument erst nach langwieriger Inspektion dieser teils atemberaubend schönen Wolkenbilder. Paglen zeigt, wer uns sieht. Maschinenaugen übermitteln unscharfe Bilder in Kontrollzentren, Kontinente entfernt. Dort wird der entscheidende Knopf gedrückt, und bisweilen sterben auch Unschuldige. Kollalteralschäden sind nicht augeschlossen im digitalen Krieg gegen den asymmetrischen Terrorfeind. Auch das eine Wolkenauffassung, aber eine, die erkennen lässt, wie nahe wir schon der Science Fiction gekommen sind. Diese Kriegsführung ist unwirklich, wenn ihre Folgen auch erschreckend real sind. Das spricht aus den Bildern und mahnt uns, die Überwacher und Fernsehkiller ins Visier zu nehmen und zu kontrollieren.

Vielleicht ist die Zeit reif für eine Geschichte der Wolke in der Kunst. Allein zur Blickschärfung auf zwei gewichtige theoretische Positionen taugt diese als Erkenntnishilfe. Schaut man innerästhetisch. so wird deutlich, dass wir genau wie in Robert Musils Roman-Ouvertüre aus im Mindesten zwei Perspektiven auf das Phänomen schauen: Es gibt den Künstler als aufklärerischen Naturwissenschaftler. Doch bei aller Faszination etwa für Constables wissenschaftsähnliche Wolken sind dessen Ergebnisse zwar redliche Mühen, aber künstlerisch halbwirksam. Daneben steht der Part eines mit den Mitteln der Kunst reflektierten Verhältnisses von naturwissenschaftlicher Erkenntnis zur Kunst selbst. Das ist bei weitem nicht so unterkomplex wie Goethes Kategorisierungszwang, der für bildende Künstler zum Glück nicht verbindlich wurde. Die Linie reicht mindestens von Leonardo bis zu Gerhard Richter. In diesem Spannungsfeld ergeben sich Erkenntnisse über die Kunst selbst. Und das, obwohl alles nur aus Luft und Wasser, nein, aus Terpentin und Pigment besteht.

Erschienen als Sonderthema in KUNST&material, 01./02.2015, S. 14-25