Die offene Gesellschaft zum Abschuss freigegeben?

Es ist immer wieder eine Freude, aktiven Studierenden bei ihrer Arbeit helfen zu können. Yassin Safidine hat eine schöne Webseite zum Thema Überwachung mit Blick auf Ausstellungen des Karlsruher ZKM im Rahmen der Globale aufgesetzt (http://safidine.wix.com/global-control). In diesem Zusammenhang hat er mich mit seinen Fragen angeregt, mal wieder über ein Dauerbrenner-Thema nachzudenken: die globale Überwachung. Es gilt, so mein Fazit, weiter die Devise #resist! Wir müssen die Vorstellung von einer offenen Gesellschaft anstreben, gestalten und diese auch vor Feinden aus verschiedenen Lobbies schützen.

Yassin Safidine: Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass wir überwacht werden. Spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen weiß nun auch der Letzte davon. Wie stehen Sie dem Thema gegenüber?

Nein, das ist natürlich und glücklicherweise kein Geheimnis mehr. Aber dass Sie die Vokabel „wissen“ nutzen, kann ich so einfach leider nicht bestätigen. Denn wir haben zwar eine ganze Menge Indizien und auch ein paar Fakten, aber das vollständige Ausmaß der Tätigkeiten von NSA, CIA, GCHQ, BND oder KGB ist uns absichtsvoll in keiner Weise zugänglich bzw. bewusst – trotz der erhaben mutigen Handlungsweise dieses erstaunlichen Menschen namens Edward Snowden. Und wie positioniere ich mich zum gegenwärtigen Zustand? Nun, da gibt es eine ganze Reihe von Perspektiven. Voraussetzen möchte ich mein Bekenntnis zur friedfertigen Demokratie, zur Freiheitlich Demokratischen Grundordnung unserer Bundesrepublik – mit allen Vorzügen, Vorteilen und Mängeln – vorbehaltlos. Mich überzeugt die Vorstellung einer offenen Gesellschaft. Wir sollten alles daransetzen, eine solche Gesellschaft transparent für jede BürgerIn auf der Basis von Grund- und Menschenrechten in einem globalen Miteinander planetarisch zu realisieren. Die drängenden Probleme aufgrund des ungehemmten Wirtschaftswachstums, etwa die drohende Klimakatastrophe, das Energiechaos nach Erschöpfung der Ressourcen wie Öl oder Gas, aber auch vordergründig religiös motivierte Kriegsführung sind mittlerweile nur noch aus globaler Sicht zu betrachten. Wer das verneint, ist nicht nur naiv, sondern denkt fahrlässig. Damit jedoch eine zukunftsfitte Gesellschaft funktioniert und die Generationen von Kindern und Kindeskindern vielleicht noch ein wenig Lebenswertes und Überleben sichernde Bedingungen hier vorfinden und nicht, wie Stephen J. Hawking neulich als Notwendigkeit formulierte, im Weltall irgendeinen Planeten kolonisieren muss, ist eine Voraussetzung vonnöten: die Öffnung der unglaublich verkrusteten Strukturen in Hirn und politischem sowie wirtschaftlich unverantwortlichem Handeln. Nur leider herrschen allerorten Misstrauen, Beäugen in teils brutaler, menschenverachtender Konkurrenz. Man braucht sich ja nur anzuschauen, welche Formen der Postkolonialismus derzeit in Syrien annimmt. Stellvertreterkriege sind das Tagwerk von Nationen wie Russland, den USA, Iran, Saudi-Arabien und so weiter und indirekt auch von uns. Und eine derartige und, in meiner naiven Weltsicht, verachtenswerte Politik funktioniert eben nicht ohne eine negative Kultur der Angst und des Misstrauens, denn wie sollten dann Firmen wie Halliburton oder andere scheinbar systemkritische Unternehmen die Wirtschaft in Gang halten. Der „militärisch-industrielle Komplex“ fordert und fördert diese Kultur des Negativen. Wissen Sie, das hat bereits der WKII-General und Präsident der USA, Dwight D. Eisenhower, erkannt, so benannt und 1961 in seiner Abschiedsrede aus dem Amt vehement kritisiert. Das jedoch steht diametral zu meiner Herkunft. Ich stamme aus einer offenen, auf Vertrauen basierenden, Verantwortung auch für die Anderen einfordernden Familie. Wir haben das mit mal mehr, mal weniger Erfolg gelebt, und ich habe es gelernt und verinnerlicht, weil ich darin Freiheit erfahren habe. Und wir versuchen das bis heute zu leben, auf einem sehr einfachen Level, ohne irgendwelche Feedbackrunden oder Supervisings, und es funktioniert. Selbst wenn beispielsweise mein Vater und ich grundsätzlich anderer Auffassung mit Blick auf Gott und Glaube sind, wir uns also an zwei denkbar weit auseinanderliegenden Polen befinden: Wir sind uns nie gram. Aber das liegt auch daran, dass mein Vater mich immer wieder zu verstehen versucht, was für einen Menschen des Jahrgangs 1933 sicher keine Selbstverständlichkeit ist. Es war aber auch immer klar, was mein Zeug und das meiner Eltern war. Da hat keiner in den Sachen der anderen geschnüffelt. Es gab keinen Grund. Gegenseitiges Vertrauen eben. Können Sie sich dann vorstellen, wie es ist, das zu erfahren, was da im Juni 2014 öffentlich wurde? Ins Rotieren kam in meinem Hirn nicht wenig, aber überrascht war ich nach einem Moment des Innehaltens auch nicht, denn eine ganze Menge ließ sich schon aus Geschehnissen zuvor, zum Beispiel aus der peinlichen Debatte um die Aufpfropfung des Generalverdachts qua anlassloser Vorratsdatenspeicherung, ablesen. Na ja, dennoch ist der Diskurs über die Verantwortung in Sachen Datenschutz nach den lobenswerten Veröffentlichungen Snowdens eben ein anderer. Und wir sind mit unserem Bewusstsein und mit dem Sachverhalt konfrontiert, dass es da eine selbst agierende, Mittel verbrauchende und saugende Macht gibt, die sich jeder vernunftbasierten Kontrolle entzieht. Mit deren gebetsmühlenartigen Beteuerungen, unsere Gesellschaft stünde am Rand der Apokalypse, weil Unsicherheit uns alle bedrohe, haben sie uns dennoch niemals den einen einzigen Nachweis erbracht, der es rechtfertigte, dass ihre Bemühungen einer Totalerfassung aller Kommunikation und der Möglichkeit zur Verwandlung dieser Datenmassen in Information durch Monstercomputer überhaupt ein Quäntchen Erfolg verspräche auf dem Weg zur Befriedung des Planeten.

YS: Ist es, Ihrer Meinung nach, der richtige Weg zur „öffentlichen Sicherheit“?

Nein, nein und nochmals nein. Es ist erstaunlich, aber noch vor wenigen Jahrzehnten war es den Menschen in Europa durchaus bewusst, wie fragil, wie verletzlich wir alle und wie wackelig unsere Umstände sind, in denen wir leben. Haben wir das eigentlich auf dem Schirm, wie aus Angst Kapital wird – nur nicht für uns! German Angst ist heute Global Angst. Heute glauben wir alle, dass mit Vertragsabschluss einer Versicherung das Recht auf Unversehrtheit erkauft werde. Der Gott der Versicherungsgesellschaften kreiert in uns den Sicherheitswahn, und passiert dann doch einmal etwas, müssen es die Versicherer wieder ausbügeln, machen sie auch gern, denn dann steigen die Preise für die Policen, und das Überleben des Systems ist abgesichert. Für alle Schäden und Folgen gibt’s ja die Münchner Rück. Schöner zirkulärer Ausbeutungszyklus. Bin ich gegen Diebstahl versichert, bekomme ich zwar mein Geld für die Gegenstände zurück, die mir gezockt wurden, aber wer bezahlt den Psychologen, wenn ich nach dem Einbruch eine Psychose, ein Trauma erlitten habe, was es mir unmöglich macht, in die derart „verletzte“ Schutzzone namens Eigenheim oder Wohnung zurückzukehren? Ok, die Krankenversicherung zahlt schon. Und wer zahlt für die traumatisierten Soldaten, die aus dem Nahen Osten in die USA zurückkehren und keinen Fuß mehr an die Erde bekommen, oder für die zerstörten russischen Soldaten nach der gescheiterten Okkupation Afghanistans in den 1990er Jahren? Von denen viele nie wieder in die so genannte Mitte der Gesellschaft retour kamen und im Suff verreckten. Aber Herr Putin hat derzeit nichts Besseres zu tun, als vor laufenden Kameras zu erzählen, wie hervorragend sich doch das Einsatzgebiet Syrien für das Testen neuer Waffensysteme eigne. Wir brauchen die Sicherheit, dass auch ja alles funktioniert, selbst wenn zum Zwecke der Werbung das Recht auf Unversehrtheit des Leibes von nicht am Konflikt beteiligten Kindern, Alten, Frauen und Männern schlichtweg inexistent wird. Wenn unbemannte Flugkörper eine Grauzone im Völkerrecht um sich schaffen und ohne Gerichtverhandlungen Exekutionen auf einem fremden, fernen Terrain vornehmen und deren Steuerfrauen und -männer eigentlich gar nicht sehen, wen oder was sie abballern. Trigger Happy. Happy Gamification. Ja, die Sicherheit, und dann für wen? Es geht einfach nicht um meine oder Ihre Sicherheit, wenn offensichtlich ineffiziente Informationstechnologie und Todesmaschinerie Milliarden verschlingen, was dazu führt, dass sich dieser Komplex peu a peu aus Mitteln, die gewiss besser angelegt wären, vergrößert, Bosse von Geheimdiensten vor dem US-Kongress folgenlos der Lüge überführt werden und sich und irgendwelche IT-Maschinenbauer an den Folgen unserer verängstigten Grundbefindlichkeit unverblümt bereichern können. Unsere Öffentlichkeit spielt in der offiziellen Fütterung der Angst mit, weil sie ihren Repräsentanten, die es etwa hierzulande nicht hinbekommen, ihre Bezüge zur Wirtschaft durchschaubar machen zu lassen, Stichwort gescheiterte Lobbyistendatei, gestattet, im Trüben ihren Angelegenheiten ungestört nachzugehen. Wer profitiert? Die Caritas, das Diakonische Werk oder Heckler & Koch, Krauss-Maffei oder Degussa etc.

 Was hat das alles mit der Arbeit an einer Gesellschaft zu tun, deren Qualität es eben sein könnte, ihren Menschen vorbildlich zu zeigen, dass sich Probleme am besten angstfrei und mit Blick auf die Realität lösen lassen, was heißt, es gibt trotz Versicherung und Jesus keinen absoluten Schutz vor Versehrtwerden bei Verkehrs- oder Haushaltsunfällen, keine Sicherheit vor Krankheit und anderen Ereignissen. Und wie können wir überzeugen, wenn unsere Doppelmoral stets doppeltes Recht schafft – ob mit Blick auf Verdienstunterschiede zwischen Ost und West oder die Arbeitserlaubnis für Menschen mit deutschem Pass und den Leuten, die gerade unter Aufbietung aller Mittel und in Lebensgefahr es geschafft haben, zu uns zu kommen. Wie sollte man das etwa nicht für ziemlich schlimm und bisweilen auch bekämpfenswert halten, wenn man nicht – wie es mein Glück etwa war – in einer offenen Familie groß geworden ist. Nein, der Begriff der Sicherheit, der von bestimmten Politikern und Überwachern stets bedrohlich und locker über die Lippen kommt, hat sich seit Snowdens Enthüllungen als größter innerer Feind aller Demokratien entlarvt und zudem dankenswerterweise dabei noch andere Abgründe zumindest in die gesellschaftspolitische Landkarte eingetragen. Und wenn wir alle schon mit einer Sicherheitspsychose durch die Lande laufen, hat es die Überwachungsindustrie so dermaßen leicht, uns davon zu überzeugen, dass wir die Angst loswerden, wenn wir uns überwachen lassen und weiter die Länder, die jetzt Schurkenstaaten heißen, militärisch wie ökonomisch ausbeuten. Doch dass damit Probleme gelöst werden, ist aus einer rationalen, vernunftbasierten Perspektive so illusionär wie das Jüngste Gericht am kommenden Sonntagmorgen zum Frühstück. Es ist unzweideutiger Ausdruck wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen. Basta.

YS: Wie sind Sie selbst mit dem Thema in Berührung gekommen?

Lange her. Heute schmunzle ich ein wenig über die Harmlosigkeit der Vergangenheit. Damals, 1983, ging das Gebot der damaligen Bundesregierung unter dem per Misstrauensvotum mächtig gewordenen Kanzler Helmut Josef Michael Kohl aus, dass sich das westdeutsche Land zählen lasse. Was zu Protesten führte und das Bundesverfassungsgericht feststellen ließ, dass es ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gibt. Und erst vier Jahre später musste mein Vater als Beamter ran, die Zettel verteilen, weil das Freiwillige nicht machen wollten. Und wir FreundInnen diskutierten recht heftig darüber und fanden diese Erfassungsbestrebungen unserer Regierung gar nicht gut. Und dass mein Vater da mitmachte, ließ mich schamesrot werden. Tja, vielleicht war es das erste Mal, dass ich dazu gezwungen wurde, mich mit dem Recht auf Privatsphäre auseinanderzusetzen. Und wenn man solch eine Gedankenfigur schon mal im Hirn und gewissermaßen als Überzeugung eingebettet hat, ist es nicht sehr weit, dass sich ca. 15 Jahre später, als 1995 das Internet Einzug in meine Altstudentenbude hielt, die nächst höher technisierten Gedanken in diese Richtung bewegten. Da musste ich, seit 1998 Linux-Nutzer, mir Gedanken über Systemsicherheit und strenge Passwörter machen, habe bisweilen auch als Systemadministrator gearbeitet und mich damals mit Sicherheitskonzepten vertraut gemacht. Das war ja in der alten MacOS-Welt, aus der ich kam, kein wirkliches Thema. MacOS X, auf Unixen basierend kam erst im Jahr 2000. Tja, und als sich dann das Internet immer stärker in die Gesellschaft hinein äderte, bevor es sich in Hand- und Hosentaschen verästelte, kamen auch die ersten Fragestellungen in Medienkunstmailinglisten vor. Mittlerweile richtete sich mein Interesse an Computerkunst genau an dieser speziellen Spezies, der Netzkunst, aus. Über den hartware medien kunstverein in Dortmund, der in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden ist, habe ich dann Veranstaltungen in diesem Sektor organisiert. Das alles lief parallel: diese besondere Kunstform, der politische Aktivismus, eine Öffnung hin zu Kulturen im Osten Europas und so weiter. Eine im Rückblick sehr spannende Zeit, in der allerdings die Medien- und Medienkunstszene sich leider sehr von dem Rest des Systems, aus Frustriertheit gegenüber dem herkömmlichen Kunstbetrieb, abgeschlossen hatte und zunächst gar nicht im generellen Kontext wahrgenommen wurde. Übrigens ein eher unangenehmer Sideeffect, der bisweilen bis heute noch nachwirkt. Zumindest bei Protagonisten aus der Frühzeit.

YS: Sie erzählten mir einst von Verschlüsselungen im Netz. Wie weit ist man mit solchen Verschlüsselungen überhaupt sicher?

Es kursiert ein Märchen, eine Urban legend, keine Ahnung, wie groß der Wahrheitsgehalt ist. Das geht so: Wer etwa mit der OpenSource-Technik GPG (GNU PG) oder PGP (Pretty Good Privacy) arbeitet und verschlüsselt, bekommt sofort ein Heimatverzeichnis in der Cloud der NSA. Es werden ferner Mutmaßungen kolportiert, demnach seien die NSA sehr an einem Quantencomputer interessiert ist, weil der dazu in der Lage sei, selbst stark verschlüsselte Nachrichten zu knacken. Fakt ist: Je mehr Leute zu Kryptoparties von Datenschutzvereinen gehen und sich angewöhnen, zu verschlüsseln, umso eher laufen die Bestrebungen von Geheimdiensten ins Leere, mit Software wie XKeyscore mehr zu erfahren als schiere Verbindungsdaten. Daher biete ich in fast jeder Mail meinen öffentlichen Schlüssel an, um zu zeigen, hey, wer will, kann mit mir verschlüsselt kommunizieren, selbst wenn er mir nur mitteilen will, welche Farbe sein Kaffeebecher hat. Sicher fällt es schwer, exakt zu beziffern, was das private Verschlüsseln bringt, aber ich wickele mittlerweile beinahe jeden Datenverkehr verschlüsselt ab. Auf meiner Webseite besteht die Möglichkeit, HTTPS zu nutzen, also eine von einem anerkannten Unternehmen (oho, haben wir hier eine quasi „ideologische“ Sicherheitslücke?) SSL-zertifizierte Übertragung meiner Inhalte. Daher habe ich mit einem kleinen Skript direkt auf verschlüsselte Kommunikation umgeleitet. Der User bemerkt das gar nicht. Das heißt, der Datenstrom zwischen Ihrem Browser und meinem Server wird kryptografisch behandelt. Laufen unsere Daten dann durch NSA-Server, was angeblich ja nicht praktiziert wird, bekommt der Club schon richtig Arbeit. Warum das Ganze? Ich bin von dem Nutzen des klassischen und grundrechtlich garantierten Briefgeheimnisses überzeugt und will einfach aus Prinzip und wegen der Unrechtmäßigkeit solcher Aktionen schlicht und ergreifend nicht mitgelesen werden. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob ich nun etwas zu vertuschen habe oder nicht. Denn wer bestimmt das überhaupt, wenn nicht Gerichte, aber heute unternehmen das ja die Dienstleister der NSA selbst, wie es die Fakten des Renegaten Snowden gezeigt haben. Der übrigens ist mein Wunschkandidat für den Friedensnobelpreis. Warum hat er den nicht schon längst? Je nun, private Verschlüsselung ist vielleicht keine absolut wirksame Brandmauer, um Datensauger auszusperren, aber es ist eine hoffentlich nervende Beschwernis für anlasslose Schnüffler. Also mitmachen! Ich sehe jedoch noch einen gravierenden Hemmschuh: Das Prinzip der Mehrwegeverschlüsselung über öffentliche und private Schlüssel und die Relation zwischen zwei Kommunikationspartnern ist derzeit noch recht unhandlich und nicht so leicht zu verstehen, aber das sind Smartphones eigentlich auch nicht. Selbst der Verschlüsselungsservice von großen Freemailern ist nicht so leicht zu kapieren. Das jedoch betrifft eigentlich jede Software. Also einarbeiten und mitmachen.

YS: Smartphones sind ja das „Silbertablett“ für NSA und Co. Können Sie diesen Raub der Privatsphäre noch tolerieren oder ziehen Sie an einem bestimmten Punkt eine Grenze?

Der Missbrauch persönlicher Daten durch Unternehmen und ihre Smartphone-Lauscher ist nur die Spitze des Eisberges an ungesetzlicher Verwendung von Big Data mit Blick aufs Große und Ganze. Machen wir uns auf etwas gefasst. Lustig wird das nicht. Nein, ich toleriere in keiner Weise eine, wie ich meine, unserer historisch gewachsenen und akzeptierten Vorstellung von privatem Leben komplett entgegenlaufende Auffassung wie die von Marc Zuckerberg, der, übertrieben formuliert, eben meint, unser jetziges Verhalten diesbezüglich sei ein Verbrechen und alles müsse offen und frei zugänglich sein. Und der Mann hat Macht. Das glauben wir manchmal gar nicht. Etwa dass er es hinbekommen hat, dass ein Freund von mir, spät Vater geworden, jetzt Fotos seiner Tochter öffentlich in Facebook publiziert, obschon sie noch nicht in der Lage ist, dieser väterlichen Stolz-Aktion ihr Einverständnis zu geben. Allerdings möchte ich ihm nicht zu nahetreten, aber ich empfinde und durchdenke, dass das alles andere als harmlos ist. Und wie sieht es auf der Sammlerseite aus? Folgendes ist die nahe Wirklichkeit: Meine Motorradversicherung bietet mir an, eine Blackbox ans Bike zu schmieden. Klein, leicht, fällt nicht auf. Das Unternehmen klärt auf, dass der Fahrtenschreiber Daten sammle und auswerte, die zeigen, ob und wie regelkonform ich fahre. Wenn ich stets achtsam bin und niemals schneller als erlaubt, nicht riskant fahre oder extrem beschleunige, bekomme ich einen Bonus. Super sage ich heute, morgen will ich das nicht mehr, weil es etwa Inkonsistenzen zwischen Auswertung und meiner Wahrnehmung gegeben hat. Außerdem stelle ich fest, dass damit der nächste, ehemals private Freizeitsektor zwanghaft durchökonomisiert wird. Was passiert also, wenn ich Nein sage? Das Unternehmen wird den Druck über die Preisschraube erhöhen. Irgendwann zahlt man dann als „freier“ Fahrer ungleich höhere Beträge für die Policen als Biker mit digitalem Überwacher an Bord. Ist das richtig? Gerecht? Was hat das mit Wahlfreiheit zu tun? Und wer hegt darüber hinaus Ansprüche an die Daten? Wer etwa hängt mit im Mischkonzern des Versicherers? Wer sagt mir, dass mein Neues Gold, das ich per absolviertem Kilometer in nicht allzu heftiger Schräglage erzeuge, nicht doch noch Wege in andere Gewerke findet? Und wie verändere ich dann mein Verhalten auf eine Weise, wie ich es niemals gemacht hätte, wenn es diesen aus meiner Sicht unmoralischen Missbrauch nicht gäbe? Es ist alles eine Frage der Definitionen und Regeln in den AGB. Als technikbegeisterter Mensch erschrecke ich jedes Mal, was mit Big Data eigentlich machbar ist, welcher Missbrauch möglich ist und wie schnell wir uns daran gewöhnen können, wenn nur Lobbyisten bestimmen, wohin der Gesetzgeber zu galoppieren hat.

YS: Wie gehen Künstler und der Kunstbetrieb selbst mit diesem Thema um? Stichwort: The Art of Programming.

Das Stichwort müssen wir von der Medienkunstszene trennen, denn es zitiert den Titel eines bedeutenden Traktats der Informatikgeschichte, das der Amerikaner Donald E. Knuth (geb. 1938) als „The Art of Computer Programming“ von 1968 an in, soweit ich mich recht erinnere, sieben Teilen denkt, bislang jedoch erst vier veröffentlicht wurden. Knuth ist ein akribischer Rationalisierer, wenn man ihn bösemeinend versteht, was ich nicht will, denn sein Verdienst steht außer Frage, seine Brillanz außer Konkurrenz. Ihm ist auch das ursprüngliche TeX-Satzsystem zu verdanken, dessen Enkel LaTex ich bisweilen noch für vor allem lange Texte nutze. Aber es findet sich in der Vorstellung einer Kunst des Programmierens etwas, das wir heute wohl eher mit Design beschreiben würden, da der Begriff der Schönheit nicht unbedingt an den der Effizienz gekoppelt werden kann, ein eleganter Algorithmus allerdings seinen Dienst flott erledigt und vor allem nur aus der maximal notwendigen Menge an Code besteht. Also je weniger Zeilen, desto eleganter und effizienter. In der zeitgenössischen Kunst ist die Ästhetik ja zum Glück längst ausufernd ins Hässliche, hat alltägliche Phänomene inkorporiert. Kunst ist somit sehr gefräßig und lässt sich nicht mit der Reduktion auf die eingesetzten Mittel fassen. Die meisten Kunstwerke sind zudem noch vielwertig und nicht eindeutig wie ein „schöner“ Code nach Knuth es sein sollte. Auf der anderen Seite beschäftigt sich nur ein geringer Teil des Kunstbetriebs mit diesen Fragen ernsthaft und kommt zu seriösen Lösungen. Diese Künstler formulieren ihre Beschäftigung dann auch meist im Medium mit dem Einsatz der entsprechenden Techniken. Mir fällt sofort die Schweizer !Mediengruppe Bitnik ein. Vor nicht allzu langer Zeit haben sie einen Werkentwurf abgeliefert und für die Webseite des „Cabaret Voltaire“, dem Ur-DADA-Club, auch umgesetzt. Dabei ging es darum, über die Ähnlichkeitssuche eines gigantischen Suchmaschinenprogrammierbetriebs sämtliche Bilder der Site auszutauschen – mit den Ergebnissen der Vergleiche durch den Algorithmus dieses Konzerns. Dabei kamen natürlich eine ganze Reihe fantastischer Konstellationen heraus, die belegten, in welchem Larvenstadium sich die Technologie noch befindet. Wollen wir uns wirklich von derartigen Maschinen diktieren lassen, was wir wie wichtig finden? Vergleichbare Aktionen lassen sich ersinnen.

YS: Kennen Sie Künstler oder Aktivisten, die sich mit diesem Thema befassen?

Da gibt es eine ganze Reihe. Wenn Sie sich einmal über Netzkunst, net art, oder wie man das auch immer begrifflich fassen möchte, informieren wollen, stoßen sie auf Künstler, die sich im Prinzip mit jeder Facette unseres digitalen Lebens auf je verschiedene Weise auseinandersetzen. Werbeblock: Suchen Sie die schriftliche Fassung eines meiner Vorträge auf https://www.weisskunst.de.[1] In diesem, „Watch the watchers“ übertitelten Text schreibe ich eine kleine Geschichte der Kunst des Überwachens von Überwachern, und Sie werden feststellen, dass sich kritische Geister schon früh damit auseinandergesetzt haben. Dann gibt es neuere Positionen, die teilweise extreme „Hacks“ wagen. Spontan fällt mir Florian Mehnert ein, mit dem ich seit einiger Zeit in regem, freundschaftlichem Austausch stehe. Mit ihm gibt’s auch ein Interview auf meiner HP. Ein Werk, dass ich fantastisch finde, weil es genau verdeutlicht, was die Kunst als Diskurs zu einer Aufmerksamkeit für solch sensible Themen bewirken kann. Mehnert arbeitete mit Programmierern, die öffentliche WLANs hijackten und einen Bot auf Smartphones der Gäste spielten. Der wiederum schaltete nach Belieben die Kamera der Telefone ein. Die Daten wurden dann abgefischt, und Florian sorgte dafür per Videoschnitt, dass niemand diskreditiert oder erkannt werden konnte. Er kombinierte daraus ein Tableau aus 42 in Endlosschleife laufenden Videos, und man sah es bei der Betrachtung sehr schnell, dass hier etwas überaus Gruseliges vorging.

YS: Wie sehen Sie die Zukunft der Gesellschaft, wenn das so weitergeht mit der Überwachung?

Wenn ich auf diese Frage aufrichtig antworten soll, kann ich nicht anders, als meiner Furcht Ausdruck zu verleihen, dass wir uns mit einem gigantischen Problem konfrontiert sehen. Wir BürgerInnen werden niemals ernsthaft die Gelegenheit zur Überwachung der Überwacher bekommen, wenn es so wie jetzt weitergehen sollte. Denn Sie wissen ja: Weil die Sicherheit bedroht ist, können DIE nicht mit UNS offen reden, denn das gefährde ja die Sicherheit. Daher können sie auch nichts mitteilen oder berichten oder versuchen, uns das verständlich zu machen, was sie tun, aber sie brauchen mehr und mehr Ressourcen, weil die Sicherheit ja immer stärker gefährdet wird. Sie verstehen, was ich meine? Mein Freund, der Philosoph Bernhard H. F. Taureck, hat Ende 2014 eine Reflexion über die NSA veröffentlicht und deren Weg zur Allmacht mit Rückbezügen bis in die Antike beschrieben.[2] In seinem Buch vergleicht er die NSA mit einer absoluten Religion. Man kann nur mehr glauben und hoffen. Alles andere verschwimmt im Enigma dieser demokratisch jedenfalls nicht legitimierten Institution. Erschreckend finde ich, wie in unserer unmittelbaren Gegenwart und im Alltag das hässliche Wesen des postkolonialen Turbokapitalismus mit Tendenzen zum Protofeudalismus darin aufscheint. So deutlich wie wohl niemals zuvor. Unsere Gesellschaften produzieren aufgrund der schädlichen und schändlichen Lebensweise Konfliktherde und entfachen Stellvertreterkriege in Form von Bürgerkriegen. Und die zu einem Gutteil durch unsere Politik entschärften scheinbaren Gotteskrieger bekommen wir dann mit Datensammeln und -auswerten in den Griff? Eine derartige Sicht auf die Lage übersteigt schlichtweg meinen Verstand oder sie ist so Banane, dass sie unterhalb meiner intellektuellen Wahrnehmungsschwelle liegt. Ich frage mich nur, mit welchem Recht und welcher Berechtigung uns die so genannten Entscheider von der Verbesserung unserer demokratischen Potenziale abhalten wollen. Und wieso eigentlich? Also lautet wie stets die erste Frage: Wer profitiert, wenn es nicht die Mehrheit der Bürgerschaft ist? Ich befürchte nur, dass wir Stimmvieh niemals eine ehrliche oder erschöpfende Antwort darauf bekommen.

[1] S. https://www.weisskunst.de/dr/node/49.

[2] S. Bernhard H. F. Taureck: Überwachungsdemokratie. Die NSA als Religion. Paderborn (Wilhelm Fink) 2014.