Time-Out in Regensburg

12. Februar 2013: Gibt es so etwas wie einen Time-Out? Oder mahlen einfach nur die Mühlen so ungeheuerlich langsam, dass es schlichtweg Zeit braucht, bis sich in manchen Museen etwas bewegt? Der Musentempel, klar, ist in der Regel nicht so schnell wie die kommerzielle Galerie. Das braucht er auch nicht zu sein, behütet er doch seine Schätze für die Ewigkeit und nicht den nächsten Laufkunden. Zumal das ICOM weltweit Richtlinien, regelrechte und wenn man will bindende Standards für öffentliche Museen definiert hat: wie man sammelt, forscht, bewahrt und vermittelt. Aber hierzulande gibt es Häuser, die den Interessierten – zumindest aus Besucherperspektive – dazu zwingen, die Langsamkeit nicht nur zu entdecken, sondern sie auch – zumindest indirekt – als Qualität gelten zu lassen. Eins dieser Institute, die ihre Besucher am ausgestreckten Arm verhungern lassen, ist das Kunstforum Ostdeutsche Galerie (KOG) zu Regensburg.Dabei hat der Bürger der ehrwürdigen Puppenstube zwischen Wurstkuchl und armlosem Bruckmandl an der Donau, dem bronzenen Don Juan d’Austria und Tante Glorias verfallendem St. Emmeram doch einiges zu erwarten, wenn er sich die Mühe macht, die Selbstbeschreibung des Hauses auf seiner Internetseite zu lesen. Dort steht nämlich: „Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg ist das herausragende Kunstmuseum in Ostbayern und darüber hinaus ein Spezialmuseum mit einem bundesweit einzigartigen Auftrag. Wir bewahren das Kunsterbe der ehemals deutsch geprägten Kulturräume im östlichen Europa.“ Von diesem kuriosen Auftrag soll an dieser Stelle kein Wort fallen. Das hat der Autor andernorts schon hinreichend unternommen. Aber das derart selbstbewusste Prädizieren des Hauses kann eigentlich nur der Tatsache geschuldet sein, dass es ansonsten in Ostbayern recht schlecht bestellt ist mit interessanten, hochwertigen Sammlungen in der öffentlichen Hand. Und natürlich den eher simplen Übertreibungsgesten der bekanntermaßen untauglichen Kulturpolitiker vor Ort.

Fakt ist jedenfalls, dass nach einem Besuch am vergangenen Wochenende wieder einmal der Heimgang mit Kopfschütteln die Folge war. Die Räume sind ohnehin nicht opulent in ihren Ausmaßen. Das Obergeschoss beherbergt einen mikroskopischen Bruchteil der Sammlung, die aus 2000 Gemälden, 500 Plastiken und um die 30 000 Papierarbeiten besteht. Die Werke aus dem Privateigentum des Ex-Kritikers Hans-Peter Riese werden gerade für eine Schau im unteren Wechselausstellungsbereich vorbereitet, so dass sonst nichts zu sehen ist, außer dasjenige, für das man sich selbst über den grünen Klee lobt: eben jenen Ausschnitt. Und dass seit 2005, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilte. Man kann es nicht nachvollziehen. Seit 2007 lebt der Autor hier in der Oberpfalz. Im Treppenhaus erfreute er sich beim ersten Besuch an einer leider nur temporären Bezeichnung durch Dan Perjovschi. Damals dirigierte noch Ulrike Lorenz, heute Kunsthalle Mannheim, das Haus, die für das Arrangement verantwortlich zeichnete. Die allerdings verließ den Ort recht bald, und mit Andrea Madesta kam eine engagierte, vielleicht zu impulsive Persönlichkeit, was zur Folge hatte, dass die unduldsame Obrigkeit und die sitzfleischigen Angestellten sie kurzerhand aus der Bude mobbten. Im April des letzten Jahres trat dann Agnes Tieze die Nachfolge an. Und außer vollmundigen Beteuerungen, dass doch jetzt ein Neuanfang kommen werde (Mittelbayerische Zeitung, 18.4.2012), passierte in der Sammlungspräsentation – tja, was sonst: nichts. Aber womit anfangen? Vielleicht doch mit der Sammlung? Nein. Da hängt seit acht Jahren fast alles so wie es hing. Das heißt: Die Administration verschleißt seit Jahren Direktorinnen, aber es ist nicht möglich, dem regelmäßigen Besucher ein attraktives Programm auf der Basis der eigenen Bestände und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Depots zu bieten? Wo ist da die von Ihnen beschriebene Exzellenz in Ostbayern, meine Herrschaften?

Auf der Internetseite (11.2.2013) heißt es: „Neue Einblicke eröffnen unsere Themenführungen ab Januar 2013: Wechselnde inhaltliche Schwerpunkte ermöglichen ein vertieftes Verständnis der Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.“ Prima. Und das immer anhand fast derselben Werke. Gerechterweise darf nicht unerwähnt bleiben, dass „jedoch im Rahmen der thematischen Räume immer wieder Neuerwerbungen integriert [werden]. So hängt seit 2011 im Kuppelsaal das Gemälde ‚Frühling im Lauterbrunner Tal‘ von Ludwig Richter. 2012 sind drei neue Bilder hinzugekommen: das 2010 angekaufte Gemälde ‚Porta Bohemica‘ von Carl Schumacher und zwei Leihgaben aus dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität Marburg: Johannes Molzahns ‚Blühender Kelch‘ von 1920 und Alexander Kanoldts ‚Stillleben II/27‘ von 1927“. Kein Zweifel, es gibt zudem kuriose wie spannende Gemälde zu sehen. Etwa einen brennenden Bauernhof aus dem 19. Jahrhundert. Und „Das große Martyrium“ (1907) von Lovis Corinth ist gleichfalls ganz wunderbar. Aber den enzyklopädischen Blick auf den Weg ins 20. Jahrhundert sollte man andernorts suchen. Dieses Klein-Klein in pseudopädagogischer Hängung nach Themen, die klitterhaft willkürlich erscheinen, steht allerdings hier nicht zur Debatte. Viel interessanter ist es für den Besucher, zu wissen, was sich denn nun im Depot befindet. Die naive Variante der Frage: Warum werden keine anderen Bilder gezeigt? Was hat diese Statik zu bedeuten? Nicht vorstellbar, dass man die Sammlung nicht in einem Dreivierteljahr neu kombinieren, neu arrangieren und präsentieren kann.

Möchte Frau Tieze etwa nicht produktiv mit den sicher herausragenden Beständen arbeiten? Doch will sie. Es gebe sogar schon ein Konzept, aber schließlich habe Frau Tieze dieses Jahr zwei Ausstellungen zu kuratieren. Im Jahr 2015 soll die Schausammlung dann in neuer Form eröffnet werden. Aber warum nicht als erstes mit dem eigenen Bestand beginnen? Will man denn keine Besucher? Die Anwohner kämen nämlich dann vermehrt, wenn sie das Gefühl bekämen, man kümmere sich um das Eigentum. Andere Städte zeigen das. Es ist das überaus positive Ergebnis der nun stetig stärker erfolgenden Relativierung der Bedeutung kurzfristiger Erfolge durch publikumswirksame Wechselausstellungen und der Besinnung auf den eigenen Bestand. In Regensburg ist davon erst einmal nichts zu bemerken. Selbst die höfliche Anfrage bezüglich des Zustands wird nur aufs eigene Nachhaken beantwortet. Man hat es offenbar nicht nötig. Der Besucher verharrt in seinem Time-Out-Gefühl. Lässt sich durch oberflächlich „interessante“ neue Sichtweisen qua Führung einlullen oder geht erst gar nicht hin – was die Regel zu sein scheint. Wie ist das zu verstehen angesichts einer Selbstbeschreibung, in der Adjektive wie „herausragend“ fallen?